piwik no script img

Pawel Mercedes fährt weiter

■ Boris Jelzin entläßt den stellvertretenden Verteidigungsminister Burlakow

Moskau/Berlin (taz) – Am Dienstag wurde General Matwej Burlakow von der Druckwelle einer Bombe erfaßt: Präsident Jelzin entließ nämlich den letzten Oberbefehlshaber der im August aus Deutschland abgezogenen Heeresgruppe West vom Posten des stellvertretenden Verteidigungsministers. Den jetzt verlorenen Posten hatte Jelzin selbst Burlakow erst im Spätsommer auf Drängen von Verteidigungsminister Pawel Gratschow und gegen den erklärten Willen seiner eigenen Fachberater zugeschanzt.

Was nun die Bombe betrifft, so explodierte sie vor drei Wochen in der Redaktion des Moskauer Boulevardblattes Moskowski Komsomolez und zerfetzte dem jungen Militärberichterstatter Dmitri Cholodow (27) die Eingeweide. Eine Kundgebung wie die Beerdigung Cholodows hatte Moskau lange nicht gesehen. Zehntausend nahmen von ihm Abschied. Für die Reformpresse bestand kein Zweifel, daß General Burlakow und Verteidigungsminister Gratschow den Terrorakt ausgeheckt hatten. Gratschow hatte Cholodow einmal bei einer Pressekonferenz als seinen „Feind Nr.1“ bezeichnet. Nur zögernd jedoch reichte er Klage gegen den Moskowski Komsomolez ein, die Zeitung hatte ihm keine andere Wahl gelassen. „Mercedes- Paule“ wurde er in einer ihrer Überschriften genannt. Während ganz Moskau wußte, daß Burlakow dem Gratschow-Töchterchen als Hochzeitsgeschenk den Schlüssel zu einem funkelnden Mercedes überreicht hatte, brachte die Zeitung nun weitere Enthüllungen über die illegalen Beziehungen des Ministers zu Wagen dieses Typs und kommentierte: „Diebe gehören hinter Gitter und nicht auf Ministerposten.“

Cholodow hatte kriminellen Machenschaften in der Westgruppe der russischen Streitkräfte nachgespürt. Material zum Thema sollte auch der Aktenkoffer enthalten, den er nach einem telefonischen Hinweis einem Schließfach des Kasaner Bahnhofes entnahm und der ihn beim Öffnen das Leben kostete. Längst hatten auch andere Journalisten undementiert Materialien veröffentlicht, denen zufolge die Befehlshaber dieser Heeresgruppe Metall, Drogen, Flugzeuge und Waffen verschoben.

Vor allem aber klauten die Militärbonzen den einfachen Soldaten buchstäblich die Butter vom Brot, das Fleisch vom Teller und die Vitamine aus dem Stoffwechsel. Die Möglichkeit dazu boten zollfreie Lebensmittellieferungen in die Garnisonen – die von deutscher Seite als exterritoriale Zonen behandelt wurden. Die Lebensmittel-Billiglieferungen wurden gleich am Kasernentor an mafiose Zwischenhändler umgeleitet. Daß ihre Söhne und Brüder mit der eigenen Gesundheit für den Luxus der Generale zahlten, brachte selbst die an alle Arten der Korruption gewöhnten RussInnen auf die Palme. Zwei Tage nach Cholodows Tod bildeten alle großen russischen Tages- und Wochenzeitungen auf Verabredung sein Porträt auf der ersten Seite ab. Am Mittwoch hat Jelzin dem Druck der Öffentlichkeit nachgegeben.

Der Kampf um die nunmehr rückgängig gemachte Ernennung Burlakows im Spätsommer war bezeichnend für das Übergewicht, das die mehr der Armee verbundenen Mitarbeiter damals im Stab des Präsidenten hatten. Ein anderes Indiz für die Lagerbildung in der Jelzin-Mannschaft war, daß damals auch Pressesprecher Kostikow bei der USA-Reise des Präsidenten fehlte. Hinter den Kulissen hieß es damals, sie hätten Jelzin wegen des Verlaufs seiner sommerlichen Public-Relations-Tour auf der Wolga heftig kritisiert. Tatsächlich hatte dieser dabei die demokratischen Organisationen, denen er immerhin seine Macht verdankt, vernachlässigt.

Die Erfahrungen oder Verstrickungen, denen zufolge Jelzin auf Verteidigungsminister Gratschow als Stütze seiner Macht absolut nicht verzichten mag, bleiben im dunkeln. Umfragen in der Armee zeigen, daß der Verteidigungsminister bei der Basis über so gut wie keine Autorität verfügt. Bei den blutigen Auseinandersetzungen um das Weiße Haus im Oktober 1993 blieb Gratschow passiv. Inzwischen ist er zum Wohnungsnachbarn und Saunakumpan des Präsidenten arriviert. Die Entlassung Burlakows verspricht vor diesem Hintergrund kaum Hoffnung auf eine neue, gegen Korruption und Ämtermißbrauch gerichtete Personalpolitik des Präsidenten. Sie erscheint als Bauernopfer in einem Spiel, dessen Teilnehmer sich gegenseitig um die Wette einseifen. Barbara Kerneck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen