: Der Nebel war an allem schuld
■ Erste Konsequenzen nach Ende der Geiselgangsterjagd / Hessens Innenminister kritisiert Medienrummel
Wiesbaden/Hamburg (taz) – Als „sehr befriedigend“ bewertete gestern in Wiesbaden der Direktor des LKA in Hessen, Klaus Timm, das Ergebnis der Polizeiarbeit im Fall der Geiselnehmer Gerhard Polak und Raymond Albert. Nachdem Polak schon am Dienstag nachmittag von Beamten einer Wiesbadener Polizeieinheit bei Driedorf festgenommen werden konnte, gab sein Komplize Albert gegen 22.30 Uhr auf. Wie der Einsatzleiter vor Ort, Rolf Krämer, berichtete, ergab sich der Ex- NVA-Einzelkämpfer der Polizei.
Bei den inzwischen in zwei verschiedenen hessischen Justizvollzugsanstalten einsitzenden Geiselnehmern seien, so LKA-Chef Timm, insgesamt vier Pistolen gefunden worden, von denen zwei den als Geiseln genommenen Polizeibeamten aus Baden-Württemberg gehört hätten. Darüber hinaus hätten die Gangster über eine Handgranaten-Attrappe verfügt, die „täuschend echt“ ausgesehen habe. Diese „Handgranate“ sei denn auch der Grund dafür gewesen, daß die beiden „mit hoher krimineller Energie ausgestatteten“ Geiselnehmer nicht enger verfolgt worden seien. Kritik an den Medien hatte zuvor der hessische Innenminister Böckel (SPD) geäußert: „Die Schwüre und Selbstverpflichtungen nach Gladbeck scheinen teilweise in Vergessenheit geraten zu sein.“ Als „geschmacklos“ bezeichnete der Minister insbesondere die telefonischen Live-Interviews mit Geiseln und Geiselnehmern und die „Hubschrauberrundflüge“ privater Rundfunkanstalten. In Thüringen habe sich gar ein Medienfahrzeug direkt beim Fluchtfahrzeug befunden. In diesem Fall will das LKA prüfen, ob ein Verfahren eingeleitet werden kann.
Knastchef des „Santa Fu“ wurde gestern abgesetzt
In Hamburg zog Justizsenator Klaus Hardrath (parteilos) nach der Amokfahrt der zwei Geiselnehmer gestern erste personelle Kosequenzen. Hans-Jürgen Kamp, bisheriger Leiter der berüchtigten Strafanstalt „Santa Fu“ – aus der die Geiselnehmer Albert und Polak am 10. Oktober ausgebrochen waren –, bekommt einen neuen Arbeitsplatz: einen Abteilungsleitersessel in der Justizbürokratie der Hansestadt. Neuer „Santa Fu“-Chef wird Jobst Poenighausen. Er war bisher Leiter der JVA Vierlande. Zwei Vollzugsbeamte müssen mit Disziplinarverfahren rechnen. Sie hatten in der Fluchtnacht drei vorgeschriebene Kontrollgänge unterlassen, diese aber in das Wachbuch eingetragen. Gerüchte, nach denen die beiden Beamten ihre Dienstpflicht gegen Schmiergeld vernachlässigt haben, wies der Senator entschieden zurück. Gegen einen Gefangenen, der solche Verdächtigungen gegenüber der Presse geäußert hatte, wurde inzwischen Anzeige erstattet.
Zu weiteren Vorgängen in Zusammenhang mit dem Ausbruch äußerte sich Hamburgs Justizsenator nur spärlich. Dabei ließ er völlig offen, ob jemals Licht ins Dunkel der seltsamen Geschehnisse kommen könne: Wie konnten die beiden Ausbrecher eine Säge, ein 28 Meter langes Elektrokabel und eine Metalleiter in ihre Zelle schmuggeln und dort wochenlang aufbewahren? Wie konnten sie „Santa Fu“ verlassen, obwohl die Wachtürme angeblich ständig besetzt waren? Auf die letzte Frage hatte der Senator lediglich eine metereologische Antwort: Der Nebel sei schuld gewesen. Klaus-Peter Klingelschmitt
Jürgen Oetting
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen