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„Revolution im Trockenen“

Ab heute stellen im Schwimmbecken des Stadtbades Oderberger Straße Bürgerbewegte und Künstler ihre Sicht der letzten fünf Jahre aus  ■ Von Uwe Rada

„Die Kuh ist noch nicht vom Eis“, rief der Schriftsteller Christoph Hein am 4. November 1989 den Demonstranten auf dem Alexanderplatz zu und forderte eine „Gesellschaft, die dem Menschen angemessen ist und ihn nicht der Struktur unterordnet“. Fünf Jahre danach steht diese Forderung samt ihres Knäuels von Fragen und Antworten nun zur Debatte. Nicht für die Künstler des 4. November, sondern für die Bewohner und Künstler des Prenzelberger Kiezes um die Oderberger Straße und die Kastanienallee.

„Revolution im Trockenen – Fotos im Schwimmbecken“, heißt eine Ausstellung, die – selten genug – von Bürgerbewegten und Künstlern ins Leben gerufen wurde und ab heute auf dem Grund des trockengelegten Schwimmbeckens des Stadtbads Oderberger Straße zu sehen ist. Eine „offene Ausstellung“, wie Wolfgang Krause, Galerist der „O2“ und langjähriger Bewohner der „Straße“, betont. Bis zum Ende der „Wendeschau“ können all jene, die in den letzten fünf Jahren im Kiez gewohnt oder gearbeitet haben, Fotos, Videos oder Bilder vorbeibringen. Bislang sind weit über 100 Einzelpersonen und Projekte, darunter Robert Paris, Harald Hauswald, die Künstlergruppe Wawawox oder die Knochengelddrucker von Ioe Bsaffot an der Ausstellung beteiligt.

Vordergründig soll es freilich nicht zugehen in der Oderberger Straße. Vielmehr soll die Ausstellung den Zeitraum November und Dezember 1989, die Zeit der Demonstrationen, des Mauerfalls, den Beginn des Runden Tisches und der Gegenwart dokumentieren. Vor allem die Veränderungen, die den Kiez samt seinen Bewohnern äußerlich wie innerlich erfaßt haben. „Ein Anliegen ohne Dogma“, wie Wolfgang Krause fordert, das Politische ergebe sich aus der Veränderung selbst, der Differenz mithin zwischen dem von Christoph Hein am Alexanderplatz eingeklagten Soll und heute erreichten Habenstand auf dem Konto eingelöster und verflossener Hoffnungen.

Nicht ohne Hintersinn ist auch der Ort der Ausstellung, die noch bis zum 7. Dezember zu sehen sein wird, gewählt. Seit langem schlägt das 1902 vom damaligen Stadtbaurat Ludwig Hoffmann erbaute Volksschwimmbad in der Oderberger Straße in der Wendebilanz der Prenzelberger negativ zu Buche. Der größte Erfolg für die Volxkünstler wäre es daher, wenn ihre Werke alsbald geflutet werden würden. Schließlich war die Sanierung der 1986 trockengelegten Badeanstalt lange Zeit erklärtes Ziel der Politik, bevor sie im vergangenen Jahr auf dem Finanzaltar der Nachwenderealität geopfert wurde. Das Stadtbad als Ausstellungsort bekommen zu haben, begreift Krause denn auch als ersten Erfolg. Bereits im Sommer hatten Bewohner der Straße und die Initiative „Wir bleiben alle“ dem Finanzsenator angeboten, das Bad zum symbolischen Preis von einer Mark zu übernehmen und für die Sanierung private Gelder zu akquirieren. Bislang ohne Erfolg. „Nun“, verspricht Galerist Krause, „werden wir auch nach der Ausstellung das Schwimmbecken so lange Nutzen, bis wieder Wasser ins Bad kommt.“

Die Ausstellung im Stadtbad Oderberger Straße ist von Montag bis Freitag von 16 Uhr bis 19 Uhr und am Wochenende von 14 Uhr bis 19 Uhr geöffnet.

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