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lab 2015

Liberalisierung der Lebensentwürfe Einfach mal „Toll!“ sagen

Ob Gleichberechtigung oder beschlossener Atomausstieg: So wenig haben die Alternativen nicht erreicht. Eine Replik auf Peter Unfried.

Sie haben etwas erreicht, und es war wichtig: Die gelbe Fahne – Symbol der deutschen Anti-AKW-Bewegung. Bild: dpa

Es ist tabu, als Chef seine Sekretärin zu bumsen – eine Bagatelle? Frauen dürfen sich küssen, Männer sich genauso – egal? Die große Frage, die der Gedönskongress der taz beantworten muss, lautet: Waren diejenigen, die sich für progressiv halten, in den letzten fünfzig Jahren zu fixiert auf Gedöns, auf die Kämpfe für Minderheiten und die Liberalisierung von Lebensentwürfen?

Nein. Nein. Und nein. Die Achtundsechziger hatten damit zu tun, dass ihre Eltern Nazis waren und das System von Nazis durchsetzt war. Sie wollten die Lebenskultur verändern. Ihr „Nach uns ist nichts mehr wie es war“ barg ein hohes Maß an Selbstüberschätzung.

Aber Veränderungen werden nicht dadurch falsch, dass sich an anderer Stelle auch etwas tun muss, sie nicht groß genug sind, also eher klein. Zumal: Was heißt schon klein? Der ein oder andere mag sogar dem Mettigel im Partykeller nachtrauern.

Jede Zeit hat ihre eigenen Themen

Das Post-Achtundsechziger-Milieu kann sich aber zugute halten, den Muff im Nachkriegsdeutschland vertrieben zu haben. Die geschichtliche Aufarbeitung, die intensive Debatte über individuelle und kollektive Verantwortung, war ein zivilisatorischer Fortschritt.

Und die erreichte Emanzipation, den Begriff so weit und anspruchsvoll wie möglich gebraucht, ist keine Kleinigkeit. Die Gleichberechtigung, so defizitär sie noch sei: erkämpft. Das einschnürende Familienverständnis: gelockert. Der Ausstieg aus der Atomwirtschaft: beschlossen.

Ihre Gegner gelten nicht mehr als Extremisten, als Verräter an der wirtschaftlichen Erfolgslogik. Freilich dauert Nichterledigtes fort. Nur: Darum ist die ökologische Wende nicht verpasst. Eng verknüpft mit den eigenen Biografien hat jede Zeit ihre Themen.

Gerd Rosenkranz, einst taz-Journalist, heute beim Thinktank Agora Energiewende und langjähriger Beobachter der Umweltdebatte, erzählt: Schon 1926 habe sich ein Professor Erich Marx in der später von den Nazis verbotenen Frankfurter Zeitung, Vorläuferin der FAZ, mit den Folgen der Kohleverbrennung für das Erdklima befasst (Titel des Kommentars: „Die Frage der Klimaänderung“).

Was tun, wenn die Bürger keine Windräder vor der Tür haben wollen?

Die Atomindustrie habe das Thema dann ab Mitte der Achtziger neu entdeckt, um sich als Klimaschützer darzustellen. Da war aber noch nicht sichtbar genug, dass der Klimawandel die Meeresspiegel steigen lässt und das Wetter Kapriolen schlägt. Und so war für die grüne Bewegung vor allem der Atomkurs der sozialliberalen Regierung unter Helmut Schmidt der Ausgangspunkt.

Dazu kamen Proteste gegen Waldsterben, Dreck in der Luft oder Giftmüllschiebereien. Aus der außerparlamentarischen Opposition heraus hat sich, auch getragen von der Frauen- und Friedensbewegung, eine grüne Partei etabliert. Das ist nicht nichts. Alles gut also? Mitnichten.

Heute müssen sich die Grünen Bequemlichkeit vorwerfen lassen. Die Lage und die Energiewende ernst nehmen oder mal Angela Merkel kritisieren: Das reiche nicht. Was ist zu tun, wenn Bürger kein Windrad mehr vor ihrer Haustür sehen wollen? Wie wird Energieeffizienz zum Funktionsprinzip einer modernen Gesellschaft?

Den eigenen Mut zerstören?

Die Grünen müssen klarmachen, dass Ökologie die bessere Ökonomie ist, jedes ökologische Programm ein ökonomisches ist. Das zählt. Klaus Hartung, der 1978 zu den Gründern der taz gehörte, im weitesten Sinne zu den Achtundsechzigern zählt und sich mit ihren Unzulänglichkeiten auseinandergesetzt hat, fordert jetzt „Lösungen“, „gute Beispiele“ und auch, dass man mal ein "Das ist toll" ausbringt.

Damit die Ökologie nicht zum „Quengelthema“ verkommt. Hartung kann man vielleicht so verstehen: Den Mut in sich selbst zerstören, das kann man machen. Hilft aber nicht. Was man stattdessen tun könnte, darüber darf - und muss auf dem taz.lab 2015 gesprochen werden.

HANNA GERSMANN