: Kontrolleure oder Kopfnicker?
■ Im taz-Streitgespräch: Anna Bruns (GAL) und Rolf Polle (SPD) über den Eingabenausschuß der Hamburger Bürgerschaft und dessen Praxis, Petitionen von AusländerInnen zu behandeln
taz: Herr Polle, können Sie eine Petition nennen, die vom Eingabenausschuß nicht abgelehnt wurde?
Rolf Polle: Ja. Wir haben jüngst zwei Petitionen von ausländischen Frauen zugestimmt, die von ihren Ehemännern mißhandelt wurden und noch nicht vier Jahre verheiratet waren, um ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu bekommen.
Frau Bruns, können Sie ein Beispiel nennen, bei dem der Eingabenausschuß nicht geholfen hat?
Anna Bruns: Eins? Hunderte. Erst jüngst hatten wir den dramatischen Fall eines jungen Kurden, der im Abschiebegefängnis Glasmoor saß. Dessen Eingabe haben wir an einem Mittwoch behandelt, am Donnerstag lag das Flugticket für die Abschiebung bereit. Aber der Kurde hatte neue Fluchtgründe und deshalb auch einen neuen Asylantrag gestellt. Es war noch nicht geprüft worden, ob er begründet oder offensichtlich unbegründet ist. Es hätte einen Aufschub von vielleicht drei Tagen gebraucht. Dieses hat der Eingabenausschuß nicht bewilligt. Es ist aber dem Rechtsanwalt in der Nacht vor der Abschiebung gelungen, das Bundesamt zu bewegen, diesen Antrag vorrangig zu behandeln. Der Antrag ist als beachtlich eingestuft worden. Hier hat der Eingabenausschuß versagt.
Frau Bruns, Sie schlagen eine umfassende Reform des Ausschusses vor. Was hätte dies konkret im Fall dieses Kurden geholfen?
Bruns: Man hätte früher wissen müssen, daß dieser Fall auf der Tagesordnung steht. Das ist immer wieder das Problem. Die Tagesordnung wird am Freitag verschickt, am Montag vor der Sitzung haben wir sie auf dem Tisch. Da können wir uns unmöglich vorbereiten und abklären, ob es, wie im Fall dieses Kurden, neue Sachverhalte gibt.
Herr Polle, Sie sagten in der Bürgerschaftsdebatte vor zwei Wochen, die von der GAL vorgeschlagene Reform sei unnötig. Was spricht gegen die frühere Bekanntgabe einer Tagesordnung?
Polle: Wir haben ein Abkommen mit den Senat über das „beschleunigte Verfahren“. Das beinhaltet, daß Petenten solange nicht abgeschoben werden, bis die Petition behandelt wurde. Dies haben wir nur gegen die Zusage durchsetzen können, daß die Eingaben zügig behandelt werden. Übrigens ist es guter Brauch im Ausschuß, einen Fall um acht Tage oder länger zu verschieben, wenn eine Fraktion darum bittet. So daß Sie, Frau Bruns, wenn Sie etwas klären möchten, auch die Möglichkeit dazu haben.
Bruns: Herr Polle, um des lieben Friedens willen im Eingabenausschuß kann man dieses Instrument nur in ganz wenigen Fällen benutzen. Es ist die ganz große Ausnahme. Was wir wollen, Herr Polle, ist ja nicht luxuriös: Wir wollen die Tagesordnung eine Woche vorher. Daß die Innenbehörde uns die Tagesordnung diktiert, ist ohnehin schon eine Farce.
Polle: Sie haben die Unterlagen mehrere Wochen vorher. Sie wissen nur zugegebenermaßen nicht, wann ein Fall dran kommt. Insofern ist es allen Fraktionen zuzumuten, sich auf die Fälle vorzeitig vorzubereiten und zu überlegen, was man beantragen könnte.
Bruns: Die Tagesordnung müßte auch öffentlich aushängen, damit die Petenten wissen, wann sie drankommen. Die sitzen auf dem Schleudersitz, sind beunruhigt und wissen nicht, was ihnen blüht. Ich telefoniere mir jedesmal die Finger wund und sage den Petenten Bescheid. Und ich sage ihnen hinterher, wie entschieden wurde. Auch das ist ein Unding: Die Petenten erfahren den Beschluß offiziell erst Wochen später – oder ganz unmittelbar durch Vollzug der Abschiebung.
Was spricht dagegen, die Menschen umgehend zu informieren?
Polle: Rein formaljuristisch, daß erst noch die Bürgerschaft zustimmen muß. Es gibt Befürchtungen, daß Ausländer abtauchen, wenn sie von der Entscheidung erfahren. Und dieses will man seitens der Ausländerbehörde verhindern.
Bruns: Auch die Tatsache, daß die Tagesordnungen überfallartig bekanntgegeben werden, hat mit dieser Furcht zu tun. Die Erfahrung zeigt aber, daß diejenigen, die ihre Illegalität vorbereiten, in der Regel keine Petition einreichen. Die Tatsache, daß das Ende einer Petition die Handschellen sind, ist etwas, was wir als Demokraten nicht hinnehmen sollten.
Warum wird denn die Tagesordnung nicht früher bekanntgegeben?
Polle: Das hat wohl verwaltungsinterne Gründe, weil die Ausländerbehörde an den Akten arbeitet. In dem Moment, wo sie mit der Bearbeitung am Ende ist, wird es auf die Tagesordnung gesetzt.
Und dann bleibt keine Zeit, acht Tage zu warten?
Polle: Das Problem ist, daß es schnell gehen soll. Aber wie gesagt, man kann sich vorher informieren. Es ist ja nicht jeder Fall so kompliziert, daß man ihn episch breit behandeln müßte.
Bruns: Die Petenten, die ins beschleunigte Verfahren kommen, sind alle unmittelbar ausreisepflichtig. Alle. Für mich ist in jeder Eingabe eine Dramaturgie drin, ist immer etwas, das noch nachzurecherchieren ist. Da komme ich jetzt zu unserem zweiten Reformvorschlag: Wenn wir einen Arbeitsstab hätten, der uns die Akten vorbereitet, dann könnten wir viel konsensualer debattieren und abstimmen. Dann wüßten wir aber auch, wo politische Trennlinien sind.
Polle: Gerade beim beschleunigten Verfahren sehe ich die Notwendigkeit überhaupt nicht ein, einen Mitarbeiterstab zu haben. Die Behörde bereitet die Akten derartig auf, daß wir genau wissen, wo die Streitpunkte sind.
Was spricht eigentlich politisch gegen einen größeren Mitarbeiterstab?
Polle: Daß wir die Verwaltung nicht aufblähen, wenn nicht klar ist, was diese Leute machen sollen.
Bruns: Dann müssen Sie nach Berlin gucken. Ich würde vorschlagen, daß wir mit einer Delegation zum dortigen Eingabenausschuß fahren und uns über dessen Arbeit erkundigen. Die haben dreizehneinhalb Stellen, wir wollen nur drei! Wir müßten doch gemeinsam das Interesse haben, annähernd Waffengleichheit zwischen der Behörde und uns zu schaffen. Wenn Sie sagen, Sie wollen Verwaltungshandeln nicht konterkarieren, dann ist das vorauseilender Gehorsam. Wir haben nicht zu konterkarieren, wir haben zu kontrollieren.
Polle: Ich stimme zu, daß wir die Verwaltung kontrollieren müssen. Wir vertrauen allerdings der Verwaltung etwas mehr als Sie. Wir glauben, daß die meisten Fälle korrekt abgearbeitet werden.
Es steht der Vorwurf im Raum, daß der Eingabenausschuß von der Innenbehörde zu stark beeinflußt wird.
Polle: Ich sehe nicht, daß wir im Spannungsverhält-nis zur Innenbehörde stehen. Der Konflikt liegt darin, daß wir keine Asyl-Instanz sind. Wir können nur Entscheidungen darauf prüfen, ob humanitäre Aspekte ein nochmaliges Überprüfen notwendig machen.
Bruns: Dem möchte ich widersprechen. Der Eingabenausschuß ist absolut ein politisches Gremium. Die beiden Vorsitzenden des Eingabenausschusses von Nordrhein-Westfalen zum Beispiel sind in jüngster Zeit in die kurdischen Siedlungsgebiete in der Türkei gefahren, um sich selbst ein Bild zu machen. Dies ist nicht ein humanitärer Akt gewesen, sondern ein absolut politischer.
Polle: Das Thema Ausländerpolitik wird im Innenausschuß behandelt. Unsere Parlamentarier aus dem Innenausschuß achten sehr penibel darauf, daß wir uns in diese generelle Ausländerpolitik nicht einmischen. Ich erinnere an die Abschiebung von vielen Angehörigen des Staates Togo...
Bruns: Das gab eine politische Debatte. Also, es geht.
Polle: Da haben wir uns eingemischt. Aber wir sind sehr vorsichtig, um mit unseren Kollegen keinen Ärger zu kriegen.
Was spricht gegen die Idee, Petenten persönlich anzuhören?
Polle: Bisher wurde das nicht beantragt, auch nicht von der GAL.
Bruns: Das stimmt nicht. Wir haben das öfter mal angesprochen. Da wurde vom Vorsitzenden gesagt: Wir sind übereingekommen, daß wir das prinzipiell nicht machen. Aber auch dieses Instrument wollen wir nicht inflationär einsetzen. Wir schlagen vor, daß ein Fünftel der Ausschußmitglieder beantragen kann, einen Petenten zu hören.
Polle: Sie geben zu, daß Sie auf der gegenwärtigen Rechtsgrundlage diesen Antrag stellen könnten. Ich behaupte mal, daß Sie das noch nicht ausgereizt haben.
Was spricht gegen den Vorschlag, ein Minderheiten-Begehren einzuführen? Zum Beispiel, wenn es um die Anhörung von Zeugen und Sachverständigen geht.
Polle: Es sind vor allem zeitökonomische Gründe, weshalb wir so etwas nur machen, wenn die Mehrheit sich schlaumachen will. Sonst könnten Abgeordnete, die gerne auf Zeit spielen, dies exzessiv ausnutzen. Es gibt den Verdacht, daß die GAL Eingaben aufschieben will, um damit Ausländer noch längere Zeit hierzubehalten.
Bruns: Das ist fast ein zynischer Vorwurf. Ich mag niemand gern auf einem Schleudersitz halten. Wenn ich weiß, da ist nichts mehr zu machen, dann ist es besser, daß die Menschen das schnell erfahren. Aber ich muß vorher akribisch prüfen können, ob etwas zu machen ist.
Polle: Ich freue mich über diese Aussage. Das ist einigen Abgeordneten nicht so klar.
Bruns: Es geht manchmal dennoch um Zeitgewinn. Ich erwähne nochmal das Beispiel von dem Kurden, der in Abschiebehaft war.
Warum stellen Sie sich nicht schützend vor die Petenten?
Polle: Wenn ein Fall rechtsgültig entschieden ist und wir keine humanitären Gründe finden, können wir uns nicht vor sie stellen.
Bruns: Das stimmt so nicht. Es gibt viele humanitäre Gründe, bei denen die Behörde sagt, sie sehe dennoch keine rechtlichen Möglichkeiten, die Menschen hier zu lassen. Aber die Behörde ist unser rechtlicher Ratgeber. Und wenn die Behörde politisch nicht will, Herr Polle, dann wird sie uns niemals die Schliche ihrer Ermessensspielräume auf den Tisch legen. Dann sind wir den Ausführungen von Herrn Bornhöft (Leiter der Ausländerbehörde, d. Red.) ausgeliefert. Und dann sagt der: 'Tut mir leid, es geht nicht'. Und dann gibt es Fälle, die genau gleich gelagert sind, wo die Lobby besser funktioniert, und wo plötzlich doch etwas geht. Und wenn ich Herrn Bornhöft frage, wieso, dann sagt er, weil der politische Wille da ist.
Polle: Wir haben jüngst Petitionen zugestimmt, über die Herr Bornhöft sagte, es sei nichts zu machen.
Bruns: Einmal. Ja.
Polle: An zwei Fälle erinnere ich mich ganz genau, die auch vom Senat befürwortet wurden. Wir wollen dies nicht überreizen, deswegen sind wir vorsichtig, haben aber in der letzten Zeit unsere Spielräume als SPD-Fraktion erweitert.
Bruns: Es ist auch – zumindest klimatisch – nicht mehr ganz so schlimm wie am Anfang meiner Ausschußarbeit. Da war es der reine Horror.
Moderation: Kaija Kutter
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