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Neue Rohre braucht das Land

Gerade in den neuen Ländern kommt nicht aus jedem Hahn sauberes Trinkwasser / Angst vor Hirnschäden / Europa-Richtlinien noch in weiter Ferne  ■ Von Anja Dilk

Der Todesfall in Sachsen durch den Genuß minderwertigen Trinkwassers Anfang dieses Jahres ging durch die Medien. Zwar stammte dieses nicht aus der öffentlichen Wasserversorgung, sondern aus einem Hausbrunnen in einer ländlichen Gegend. Ein Einzelfall, zweifellos. Doch machte er auf Probleme bei der Qualität des Trinkwassers in den neuen Bundesländern aufmerksam.

„In vielen Gebieten der ehemaligen DDR, in Finsterwalde und Usedom beispielsweise, ist das Trinkwasser allerdings ganz hervorragend“, sagt Andreas Grohmann, Leiter der Fachkommission Trinkwasser am Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene in Berlin, „96 Prozent des Trinkwassers sind einwandfrei.“ Nach seinem Gutachten über die ersten Trinkwasseruntersuchungen in den neuen Bundesländern von 1992 ist aber eine unzureichende technische Ausrüstung typisch. Dies gilt für die Wasseraufbereitung und die Rohrnetze in Städten. Bei der Untersuchung wurden immer wieder Klagen über zuviel Eisen, Mangan oder geschmackliche Mängel laut. Dabei gibt es regionale Unterschiede: In der nördlichen Tiefebene sind zu hohe Eisen- und Manganwerte häufig, in südlichen Regionen tauchen eher zu geringe pH-Werte oder zu hohe Aluminiumgehalte auf. In manchen Gebieten wie im Erzgebirge gibt es zudem Probleme mit alten Bleirohren. Bleirückstände können Hirnschäden verursachen.

Die Hauptprobleme sind ein zu niedriger pH-Wert und zu hohe Nitratkonzentrationen. Ein zu tiefer pH-Wert begünstigt durch Rost den Übergang von Schwermetallen aus dem Rohrmaterial ins Wasser. Bei einem Wert unter 6,5 können gesundheitsschädigende Metallkonzentrationen bei Kontakt mit Metall auftreten. Bei den sonst unproblematischen Kupferrohren kann es dann zu einer vor allem für Säuglinge bedenklichen Kupferkonzentration kommen. „Auf diese Gefahren hätte man rascher hinweisen müssen“, findet Stephan Weidt vom Bundesverband der Deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW).

380 Wasserwerke gibt es in den neuen Bundesländern. Die Richtlinien für die Qualität des Trinkwassers waren in der DDR nicht so umfassend wie in der Trinkwasserverordnung der alten Länder. „Vor allem aber“, meint Grohmann, „wurde die Umsetzung der Gesetze weniger streng überwacht.“ Seit dem Einigungsvertrag schließlich, gelten die Bestimmungen der Trinkwasserverordnung auch für die neuen Länder. Etwa 1,4 Milliarden soll die Umsetzung der neuen Richtlinien kosten. Allerdings wurde den neuen Ländern für bestimmte Parameter eine Übergangsregelung mit weniger scharfen Grenzwerten bis 1995 zugestanden. Bis dahin müssen die Gesundheitsämter darüber wachen, daß das Trinkwasser gesundheitlich unbedenklich ist.

Eine Sanierungsliste für 7.500 Gemeinden wurde bereits erstellt. Die Sanierung übernehmen die jeweiligen Wasserversorger. Mit Hilfe verschiedener Fördermittel beispielsweise aus Geldern nach dem Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost soll die Sanierung durchgesetzt werden.

Doch eine Lösung der Probleme wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Vor allem ist es ein organisatorisches Problem. Die Strukturreform in den neuen Bundesländern ist noch in vollem Gange. Vor der Wende übernahmen Volkseigene Betriebe (VEB) in den Bezirken die Wasserversorgung. Laut Einigungsvertrag und Kommunalverfassungsgesetz werden die VEB den Kommunen übereignet. Die großen Wasserversorgungsunternehmen sollen dann zu kleineren, bürgernahen Zweckverbänden der Gemeinden umorganisiert werden. Nach Grohmanns Ansicht ist diese Umstrukturierung eine der Hauptursachen für die schleppende Umsetzung der höheren Richtlinien. Investitions- und Sanierungspläne werden in der Übergangsphase nur zögerlich aufgestellt. „Die Situation ist völlig unübersichtlich“, findet Stephan Weidt vom BGW. „Außerdem ist die Aufbereitungstechnologie gerade für kleinere Wasserversorger sehr teuer.“

„Wir haben erwartet, daß die Anpassung schneller geht“, meint Grohmann, „doch Trinkwassergüteprobleme werden in den neuen Ländern oft nachrangig behandelt.“ Die zuständigen Gemeinden investierten nicht zweckgebundene Fördermittel lieber in die Infrastruktur oder nutzen sie zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. „Es ist ein Problem der Einstellung. Das Bewußtsein für diesen Bereich ist im Osten noch nicht so geschärft wie bei uns.“

Zur Zeit ist nach Auskunft von Stephan Weidt eine Novellierung der Trinkwasserrichtlinien der Europäischen Union in Arbeit. Kommt sie durch, müssen vermutlich auch die Bestimmungen der geltenden Trinkwasserverordnung verschärft werden. Doch das liegt noch in weiter Ferne.

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