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Ein Trip in die künstliche Welt

■ Im ansonsten eher bescheidenen Phantasialand Brühl lockt eine Galaxy-Supershow zum ultimativen Adrenalinschub in der Virtual Reality

„Bei Disney gibt es noch eine gerade Linie, an der man sich orientieren kann – wir sind besser“, verkündet der Betreiber von Phantasialand in Brühl, Gottlieb Löffelhardt. Seine Galaxy-Supershow kennt keine realitätssichernden Krücken mehr wie eine Kinoleinwand oder festen Boden unter den Füßen. Sie will ein Weltraum-Feeling simulieren. Wenn der schwere Haltebügel die Besucher fest in die Sitze ihres offenen Shuttles einklemmt, wenn das Licht in der Kabine ausgeht und gleichzeitig der Flugsimulator einsetzt, dann geht es ab. Und zwar ganz real. Wir werden hochkatapultiert. 16 Leute auf einmal. Plötzlich sind wir mittendrin in einem lärmtösenden, grellen Universum. Sonnen explodieren, und unbekannte Flugkörper donnern von allen Seiten an uns vorbei. Im Universum ist der Teufel los. Ohne Wenn und Aber, ohne die rettende Orientierungshilfe rasen wir durch wirre Szenarien à la Krieg der Sterne. Automatisch will ich mich wegducken. Aber wohin? Der leere Raum ist alles andere als leer, sondern randvoll mit gefährlichen Flugobjekten. Irgendwie kommt die Hirntätigkeit nicht nach. Die Augen wollen sich auf die Bilder einstellen, wollen Einzelheiten erfassen – es geht nicht bei dieser völlig überdrehten Geschwindigkeit. Nur einmal wird auf dem Trip gezögert: Vor uns tut sich ein Horrorszenario auf. Eine Riesenblende, die nur noch entfernte Ähnlichkeit mit einem Kameraobjektiv hat. Sie ist in einen hohen Berg eingearbeitet. Die riesigen Metallblätter öffnen und schließen sich rhythmisch und lautstark wie in Fritz Langs Maschinenvisionen. Jetzt heißt es den richtigen Moment abpassen, um heil durchzukommen. Geschafft! Gefahr vorbei! Natürlich ist uns nichts passiert. Wir sitzen immer noch im Programm, fest eingeklemmt im Shuttle wie im Inneren des Computerspiels. Hart am Boden geht es weiter über Bergzacken und Krater, über Weltraumstationen und Neonreklame. Wir rasen in tiefe Schluchten. Wir ecken aus der Bahn, ziehen seitlich hoch, steigen und fallen und rütteln und schütteln. Kollisionen vermeiden wir haarscharf, unvermittelt wird die Richtung geändert. Das sind keine sanften Kurven. Im Flugsimulator machen wir exakt jeden Ruck im Universum mit. Wir sind in einem Sog der Bilder. Wo oben und unten ist, hat man längst vergessen. Ich klammere mich am Haltebügel fest. Da wird doch nur ein Film gezeigt, sagen die Kids. Stimmt. Sie stehen Schlange im Galaxy-Zentrum. Für videoerprobte Jugendliche, die schon im Kleinkindalter in die Technologie von morgen eingestiegen sind, sind Trips in die Virtual Reality schon fast normal. Nach drei oder vier Filmvorführungen begibt man sich cool in die Illusion vom Fliegen und genießt die Manipulation von Gleichgewichtssinn und Augen. Vielleicht ergeht es unbedarften Anfängern, denen dabei schwindelig wird, bloß wie den ersten Eisenbahnreisenden. Die fielen seinerzeit in Ohnmacht.

Einigen aus unserer Gruppe ist hundsschlecht. Für Gottfried Löffelhardt, den Betreiber, ist dies normal: Drei bis fünf Leute täglich müssen die berühmten Tüten benutzen. Aber da muß man durch. „Manche Menschen kriegen Panik“, weiß seine Pressesprecherin. „Das Programm kann dann jedoch nicht unterbrochen werden“, erklärt Löffelhardt. Es wird morgens ein- und abends ausgeschaltet. Im Spezialverfahren wird der Science- fiction-Film in eine 20 Meter hohe Kuppel projiziert. Bis zu 16 Simulatoren mit je 16 Personen können gleichzeitig in Betrieb gehen. In die spezielle Filmproduktion, in das querlaufende Projektionsverfahren, in die bauliche Anlage, in die Beschallung und die Flugsimulatoren hat Löffelhardt 30 Millionen Mark investiert. Das technische Überwachungsamt soll zufrieden gewesen sein.

Lediglich aus sicherheitstechnischen Gründen gibt es eine Altersgrenze: Kinder unter sechs Jahren dürfen nicht in den Shuttle. Über die psychologischen Belastungen hat sich allerdings niemand Gedanken gemacht. Und auch Gottlieb Löffelhardt erklärt sich für nicht zuständig bei solchen Problemen. Vier Minuten sind zwar nicht lang. Drinnen schien der Trip aber länger, viel länger zu dauern.

Wenn sich die Warteschlangen in Grenzen halten, dann gehen die Jugendlichen gleich wieder in die Show. Sie kichern aufgekratzt. Der Adrenalinschub in der Galaxy kommt gut an – megageil. Vom Weltraumtrip zum Bungee-Springen gibt es eine direkte Verbindung. Denn nach jedem Adrenalinschub bleibt ein Rest von unbewältigter Angst, der nach mehr Aktion verlangt. Ein Suchtphänomen.

Die Herauslösung von Emotionsqualitäten führe zu Erfahrungsverlust, erklärt der Wissenschaftler Jürgen Hasse bei einem anschließenden Gespräch. Zwischen dem, was man tut, und dem, was man auslöst, könnten keine Zusammenhänge mehr hergestellt werden. Hasse sieht darin die Gefahr gesellschaftlicher Pathologisierung und einer Instrumentalisierung für politische Zwecke. Dies sei allerdings nichts Neues: In der Freizeitsphäre geschehe lediglich dasselbe wie in der Arbeitssphäre. Die gemeinsame Klammer sei die Entfremdung.

Und die Entwicklung geht weiter. Demnächst sollen integrierte Großzentren gebaut werden. Konsumtempel für alles und jeden. Mit Superfreizeiteinrichtungen und künstlichen Attraktionen. Die Marktentwicklung hat uns im Schlepptau. Stückchen um Stückchen wird die virtuelle Schraube weitergedreht.

Auch in meinem Kopf geht es nachts weiter. Mit einem Infogetümmel im Kopf wache ich auf. Mein Alltag fliegt mir in Bruchstücken um die Ohren, als wäre alles pure Science-fiction. Christel Burghoff

Die Galaxy-Tour organisierte die Thomas-Morus-Akademie und die Katholische Arbeitsgemeinschaft Freizeit und Tourismus im Rahmen eines Kolloquiums zu künstlichen Freizeitwelten im Phantasialand Brühl, Berggeiststr. 31–41, 50321 Brühl, Tel: 0 22 32-3 62 00. Vom 1. April bis 31. Oktober täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet.

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