: Chirac zum dritten
Die Spaltung der französischen Bürgerlichen und das Ende einer Männerfreundschaft ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Mit einem Satz war es raus: „Ich bin Kandidat.“ Sechs Monate vor den Präsidentschaftswahlen hat Jacques Chirac, Vorsitzender der konservativen RPR, gestern das Geheimnis gelüftet, das längst die Pariser Spatzen von allen Dächern pfiffen. Er tat es in einem Interview mit der Provinzzeitung La Voix du Nord – weit weg von der Hauptstadt, wo sein Zweikampf mit Premierminister Edouard Balladur seit Wochen Schlagzeilen macht. Mit der Ankündigung, an der nur der Termin überraschend war, ist Chirac erster offizieller Kandidat der großen Parteien geworden. Nach dem gegenwärtigen Stand der Debatte werden ihm mindestens ein weiterer Konservativer (Balladur) und ein Sozialist (Jacques Delors) folgen.
Die „Heuchelei bei den gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen“ sei eine „Beleidigung für das französische Volk“, sagte Chirac, „daher habe ich beschlossen, zur Aufklärung der Situation anzukündigen, daß ich ab heute Kandidat bin“. Mit der Erklärung begann der 61jährige Bürgermeister von Paris seinen dritten Präsidentschaftswahlkampf.
Innerhalb der von ihm 1976 gegründeten neogaullistischen „Sammlung für die Republik“ (RPR) blieb Chirac trotz zweier Niederlagen der unumstrittene „natürliche Kandidat“ auf das höchste Amt im Staate. Als seine RPR bei den Parlamentswahlen im Frühling vergangenen Jahres gemeinsam mit der liberal-konservativen UDF genügend Stimmen für eine Regierungskoalition gewann, verzichtete Chirac vor allem deshalb auf das Amt des Premierministers, weil er sich ohne den Verschleiß in der Alltagspolitik auf das Staatspräsidentenamt vorbereiten wollte. Chirac sorgte dafür, daß sein langjähriger Freund und Kollege Edouard Balladur an der Spitze der konservativen Mehrheit Regierungschef wurde.
„Zwischen Jacques und mir wird es nie das geringste Problem geben“, versicherte der frischgebackene Regierungschef Balladur im März 1993. Die beiden Männer verband in der Tat viel mehr als nur die RPR: Sie sind fast gleichaltrig, begannen beide in den 60er Jahren ihre Karriere unter den Fittichen von Präsident Georges Pompidou (Chirac war im Kabinett zuständig für Finanzfragen, Balladur für Soziales), beide sammelten später Erfahrungen als Regierungschefs (Chirac von 1974 bis 1976 und von 1986 bis 1988, Balladur seit 1993).
Seit Balladurs Amtsantritt verschlechterten sich die Beziehungen der beiden Männer rasant. Balladurs Popularitätskurve stieg in ungeahnte Höhen, und bereits nach wenigen Monaten schlugen ihn einige seiner Minister als Präsidentschaftskandidaten der Konservativen vor. Chirac reagierte verstimmt auf den „Verrat“ – und der öffentliche Zweikampf nahm seinen Lauf. Anfangs versteckten sich „Chiballa“ – wie die Zeitschrift vsd die Streithähne taufte – noch hinter sachlicher Kritik. Dann reizten sie sich gegenseitig mit nie angenommenen Einladungen. Schließlich verfielen sie auf beleidigende kleine Sätze. Seit ein paar Tagen gehen sich Chiballa völlig aus dem Weg.
Chirac hat mit seiner Kandidatur neue Bewegung in das Spiel gebracht. Für ein paar Wochen wird er der einzige Kandidat der großen Parteien sein. Mit ein bißchen „Glück“ hat sein Parteifreund Balladur demnächst noch ein paar neue Korruptionsskandale im Kabinett (vier MinisterInnen sitzen auf der Warteliste), wahrscheinlich ändert sich auch an den hohen Arbeitslosenzahlen nichts. Doch im Januar wird es wieder eng werden für den Herausforderer: Dann wird nicht nur die Kandidatur von Balladur erwartet, sondern auch die von Jacques Delors. Der gegenwärtige Präsident der EU- Kommission hat die französischen SozialistInnen, die ihn in den Élysée-Palast schicken wollen, bis dahin vertröstet. Und solange sich die Konservativen untereinander bekämpfen, können die Sozialisten beruhigt abwarten.
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