Musik vor den letzten Dingen

■ Uraufführung von Alfred Schnittkes „Sinfonischem Vorspiel“

Rihm geht, Schnittke kommt. Ein simpler Tausch hats möglich gemacht. Ursprünglich war Wolfgang Rihms 4. Symphonie am 6. November zur Uraufführung vorgesehen. Ob Rihm sein philharmonisches Auftragswerk nicht rechtzeitig abliefern konnte oder die Philharmonie einen lautstarken Geburtstagstusch für Schnittke benötigte, ist nicht bekannt.

Rechtzeitig jedenfalls zu Alfred Schnittkes 60. Geburtstag, der übrigens am 24. November mit einem Geburtstagskonzert in der Freien Akademie der Künste geehrt wird, hat das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter Leitung von Gerd Albrecht Schnittkes Sinfonisches Vorspiel uraufgeführt. Seit knapp fünf Jahren lebt nun Schnittke, der zur Zeit noch die Folgen seines dritten Schlaganfalles auskurieren muß, in Hamburg. Dieser Tatsache sind die philharmonischen Programme der Stadt bislang kaum gerecht geworden. Hier und da hörte man ein sinfonisches Stückchen, doch zur Präsentation der Sinfonien (am 10. November wird in Stockholm bereits die 8. Sinfonie uraufgeführt) konnten sich Hamburger Orchester bisher nicht durchringen. In Anbetracht der ins Haus stehenden Uraufführung von Schnittkes kräfteverzehrender Oper Faust, die im Juni 1995 an der Hamburgischen Staatsoper ihre Premiere feiern wird, belies man es bei einem philharmonischen Gruß.

Ursprünglich sollte das rund 20minütige Sinfonische Vorspiel einen anderen Namen tragen. Gerd Albrecht, dem das Werk auch gewidmet ist, schlug den Namen „idee fixe“ vor. Ihm schien das zentrale, das Werk durchquerende Hauptmotiv, wie eine fixe Idee. Dann ist es doch ein Sinfonisches Vorspiel geworden. Ein prächtig instrumentiertes sehr feierlich auftrumpfendes Thema eröffnet das Stück, das sich mehr und mehr zu einer düsteren, sehr müde wirkenden Erinnerungsmusik entwickelt. Anzitiertes aus Schnittkes eigener Peer Gynt-Musik mischt sich mit dem langsam austrübenden feierlichen Thema zu einer sehr fetzenhaften, abschweifenden Musik, die gelegentlich auch Momente einer Bühnenmusik durchschimmern läßt. Vielleicht ist es die Skizze zu einem großangelegten von der Vision der Apokalypse angeregten Bühnenmysterium, das Schnittke seit vielen Jahren beschäftigt.

Sven Ahnert