: Neulich bei RTL Von Mathias Bröckers
Der Zwang des Kolumnisten, jede Woche schreiben zu müssen, hat manchmal sein Gutes: Wenn sich die Dinge wiederholen, muß man nur noch mal nachgucken. Noch schöner wird die Sache, wenn dann eigentlich schon alles gesagt ist, wie zum Beispiel zum Thema Medien und Geiselnahme. Wir zitieren deshalb heute mit Verlaub aus der Kolumne „High Crime“ vom 26. August 1988:
Programmredaktion RTL Plus, guten Tag.
Ich hätte gern mal den Programmdirketor, es geht um eine dringende Sache, Bankraub und Entführung....
Eine Sekunde, ich verbinde sofort.
Hallo, ist das der Programmdirektor?
Ja, hier Dr. Knüllermüler, was kann ich für Sie tun?
Es geht um einen Bankraub mit Entführung des Zweigstellenleiters, ich wollte wissen, ob Ihr Fernsehen da interessiert ist?
Ein Zweigstellenleiter? Tja, ich weiß nicht, wir hatten die gekaperte Yacht mit den Großindustriellen, vor drei Wochen den Amokläufer in der Fußgängerzone, wir hatten die große Kunstzerstörung mit anschließender Selbstverätzung in der Nationalgalerie, ich weiß nicht, ob da ein Zweigstellenleiter...
Das ist doch kein normaler Bankraub. Der Mann wird mit einem Hubschrauber auf einem Berggipfel abgesetzt, nackt, das gibt bestimmt gute Aufnahmen...
Ja, aber ein einzelner Bankbeamter, das liegt, was den Mitleids- Quotienten angeht, im unteren Mittelfeld, ein bißchen grau und harmlos... Nackt, sagen sie...
Ja, damit er nicht so leicht abhauen kann und wir Zeit zur Flucht haben...
...Könnte man da nicht noch die eine odere andere weibliche Bankangestellte mit einbeziehen?
Das wird zuviel, wir drehen das Ding zu zweit!
Sie könnten die Mädels ja bis auf eine nach und nach freilassen, Kurzinterviews mit Befreiten kommen immer sehr gut. Also eine Frau sollte schon dabeisein. Wenn wir drehen könnten, wie die beiden Nackten sich ins nächste Dorf durchschlagen, das würde die Sache natürlich verschärfen. Verstehn Sie, Mord und Totschlag pur interessieren heuer nur noch, wenn's was ganz Spektakuläres ist, ansonsten muß schon 'ne Prise Sex dabeisein...
Nein, nein, das geht auf gar keinen Fall, mit der halben Belegschaft abziehen, dafür halte ich nicht meinen Kopf hin, da verzichten wir lieber auf das Honorar.
Dann tut es mir leid, vielleicht beim nächsten Mal.
Ja, was wäre für Sie denn ein echter Hit, ein Renner sozusagen?
Ach, wissen Sie, wir senden alles, es muß halt aufregend und spannend sein. Kein Dutzend-Raubmord, sondern exklusives High Crime. Aber das Preis-Leistungs- Verhältnis muß stimmen, leider. Kürzlich kam eine Idee, die ich zu gern realisiert hätte, aber eine Million Produktionskosten war einfach zu viel. Ein Kommando „Evolutionäre Zellen“ bot uns an: Wir entführen Kanzler Kohl und verlangen die Herausgabe von einem Glas Gurken.
Sie meinen also, das mit dem Hubschrauber wird zu teuer. Läßt sich da gar nichts machen?
Wie gesagt, das Preis-Leistungs- Verhältnis. Ohne eine Frau ist das fürs Fernsehen wirklich uninteressant. Vielleicht versuchen Sie es mal beim Hörfunk....
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen