■ Neues von den Bonner Koalitionsverhandlungen
: Ein Kaltstart

Der Start der Bonner Regierung in die neue Legislaturperiode ist gründlich mißglückt. Das zeigt sich nicht nur am bislang mageren Ergebnis der Koalitionsverhandlungen, dessen meist in nichtssagende Wortgirlanden verpackter Minimalkonsens mehr Fragen offenläßt als er beantwortet. Auch die knappe Mehrheit entfaltet bereits ihren diziplinierenden Charakter: Statt um inhaltliche Positionen zu ringen, haben Union und FDP alle Streitpunkte von vorneherein der Koalitions-Chemie geopfert und konsequent ausgeklammert. Mit dieser Taktik der Klimapflege mag Helmut Kohl zwar seine Wiederwahl bestehen, doch die Zweifel am Zusammenhalt der liberal-konservativen Notgemeinschaft werden dadurch eher bestärkt als entkräftet.

Die Verhandlungen enthüllen wieder einmal Kohls Manko als Regierungschef: Er beschränkt sich auf das Koordinieren, wo eigentlich Gestaltungskraft gefordert wäre. Als Kanzler kann er zwar Wahlen für sich entscheiden, sein inhaltlicher Einfluß bleibt, wie seit Jahren schon, jedoch begrenzt. So spielt er geschickt sein altbekanntes Spiel: Je unschärfer das Regierungsprogramm, desto größer sind seine strategischen Spielräume, im Laufe der Legislaturperiode selbst die Kompromißlinien zu ziehen, wenn Union und FDP sich in der Sache einig werden. Auch dürfte er sich damit den Platz für allerlei taktische Geplänkel mit den Sozialdemokraten offenhalten, auf deren Zustimmung im Bundesrat er mehr angewiesen sein wird als ihm lieb sein kann.

Kohls größte Schwäche in den nächsten vier Jahren heißt jedoch FDP. Um die strategische Mehrheit des bürgerlichen Lagers langfristig zu sichern, muß die Union den Liberalen nicht nur mit Leihstimmen aushelfen, sondern ihnen auch genügend Spielraum für eine thematische Regeneration lassen. Daß sich die FDP-Unterhändler auf die losen Koalitionsvereinbarungen einlassen, statt die Verhandlungen für die eigene Profilierung zu nutzen, mag zwar überraschen. Doch die verunsicherte FDP-Spitze scheint Angst vor einer derartigen Konfliktstrategie zu haben, schließlich sitzt ihr die Furcht vor einer Großen Koalition im Nacken. Zum anderen ist das liberale Profil in 25 Jahren ununterbrochener Regierungsbeteiligung so zur Unkenntlichkeit verblaßt, daß die FDP derzeit außer den Forderungen nach Steuersenkungen und „weniger Staat“ nicht viel zur inhaltlichen Positionierung des Regierungsprogramms beitragen kann. Daß die Freidemokraten bei Großem Lauschangriff und doppelter Staatsbürgerschaft keine Zähne zeigen, ist jedoch schon mehr als ein Indiz dafür, daß sie bei der anstehenden Neuorientierung ihr sozialliberales Gedächtnis wohl nicht mehr bemühen werden. Erwin Single