■ Cash & Crash
: Aktion und Überreaktion

Berlin (taz) – Wer Freiheit will, muß Sicherheit aufgeben. Diese manchmal bittere Erkenntnis teilen inzwischen westliche Großkapitalisten mit den Nach-Wende-Arbeitslosen der Ex-DDR. Systematisch haben die Regierungen der Industrienationen seit Ende der 70er Jahre die Schutzwälle um ihre jeweiligen nationalen Börsen nach und nach abgebaut.

Grenzenlos ist dadurch die Mobilität des Kapitals geworden, mindestens eine Billion US-Dollar wandern täglich auf der Suche nach dem größtmöglichen Gewinn rund um den Globus. Doch der kühle Wind, anfangs als erfrischend wahrgenommen, erscheint inzwischen selbst professionellen Anlegern manchmal als reichlich kalt.

Unberechenbar sei das Auf und Ab an den Finanzmärkten geworden, klagt das Wertpapierhaus „Nomura International“. Heftige Überreaktionen würden von nicht minder heftigen Korrekturen abgelöst, und auf die guten alten „Fundamentals“, die Basisdaten über die Entwicklung der Volkswirtschaften, könne man sich heutzutage auch nicht mehr verlassen.

Immer häufiger registriert die Wirtschaftspresse irritiert, daß die Märkte „außer Kontrolle geraten“ seien – wobei man sich über das Erstaunen darüber ruhig wundern kann, war doch gerade das Ende der Kontrolle das Anfang der 90er Jahre erreichte Politikziel.

Die Notenbanken müßten „zu einer möglichst friktionslosen Auflösung von Fehlentwicklungen der Märkte beitragen“, schlägt die Neue Zürcher Zeitung vor, um wenig später daran zu erinnern, daß Zentralbank-Interventionen nur dann wirken, wenn sie in einer Linie mit den Erwartungen der Spekulanten liegen – oder völlig überraschend kommen, wie die Intervention der US-Notenbank zugunsten des Dollar letzte Woche. Niemand hatte offenbar damit gerechnet, daß der US-Zentralbank der Außenwert ihrer Währung doch ein paar Milliarden aus den Devisenreserven wert ist, was paradoxerweise der Aktion zu Glaubwürdigkeit verhalf.

Der Zeitpunkt des Eingriffs war zudem richtig gewählt: Den intensiven Abwärtstrend an den Finanzmärkten halten viele Anleger nicht nur beim Dollar inzwischen ebenfalls für eine Überreaktion.

Wenn schon die traditionellen Finanzmärkte der USA und Europas unberechenbar geworden sind, müssen die neuen Börsen der Schwellenländer geradezu als Zockerbuden gelten. Riesengewinne etwa waren 1993 in Hongkong zu machen, um mehr als 30 Prozent stieg der Hang Seng Aktienindex. Wie gewonnen, so zerronnen, hieß es bis zum Sommer dieses Jahres. Doch wer die Flucht ergriff, handelte vorschnell, ruhiges Abwarten hätte die Verluste ganz von selbst beseitigt.

Zum Jahresende nun empfiehlt die Financial Times erneut die „Emerging-markets“ der Schwellenländer für die schnelle Mark, wobei Lateinamerika als sicherer gilt als Asien, wenn auch „sicherer“ nichts mit Sicherheit zu tun hat. Vertrauen Sie also ruhig auf die unsichtbare Hand des Marktes; Kontrolle gibt es nicht mehr. Donata Riedel