: Panzer statt Blumen
■ Der Krieg, in afghanische Teppiche geknüpft / Ausstellung im Teppichgeschäft
Als Teppichhändler HerbertSchnorr sich Mitte der 80er Jahre wieder einmal auf der Suche nach schönen Orientteppichen in der Hamburger Speicherstadt aufhielt, fielen sie ihm erstmals auf: zwischen den Stapeln aus Afghanistan steckten zu seiner Verblüffung vereinzelte Teppiche, die wie dazwischengeschmuggelte Botschaften wirkten. Statt traditioneller Motive wie Planzen, Tiere, Ornamente hatten afghanische KnüpferInnen Panzer, Hubschrauber, verängstigte Menschen oder brennendes Land gewählt, wie um der Welt von dem Krieg in ihrem Land zu erzählen. Herbert Schnorr, Mitinhaber des ehrwürdigen Bremer Teppichgeschäfts Gleue, ahnte, daß solche Teppiche nicht unbedingt ein Verkaufshit sein würden. Trotzdem begann er sie zu sammeln. Jetzt kann er in seinem Laden im Rahmen einer Ausstellung dreißig solcher „Kriegsteppiche“ präsentieren. „Kunst im Widerstand“ nennt er (sicherlich etwas voreilig) seine Austellung, die noch bis zum Wochenende läuft.
Allenfalls „Sammler und Ethnologen“, so Herbert Schnorr, sind an den afghanischen Kriegsteppichen interessiert. Wer schmückt seine gute Stube schon mit vor Hubschraubern fliehenden Menschen; mit einer Kaserne im nahe der iranischen Grenze gelegenen Herat; mit einem MG-Nest oder einer Kalaschnikow? Es soll „Amerikaner“ geben, die solche Teppiche als dekorativ goutieren. Eigentlich aber muß man sie als erstaunliche Dokumente lesen.
Die meisten der in Bremen gezeigten Kriegsteppiche stammen von den traditionell nomadisierenden Belutschen. Die sahen beim Einmarsch der Russen oft zum ersten Mal Kriegsgerät wie Panzer und Hubschrauber; Flucht, Widerstand und Tod wurden zum allesbeherrschenden Thema in den Stammesverbänden und Dörfern. Und auch zur Überraschung der Einheimischen wanderten plötzlich Kriegsmotive in die Teppichknüpferei ein. Das war neu und für viele schockierend – bedienten sich die TeppichknüpferInnen doch seit Generationen des überlieferten Motivkanons: Pflanzen, Tiere, sagenhafte Herrscher, Lebensbäume, Symbole, Abwehrzeichen. Doch offenbar gab es einen Markt für diese Kunst; reiche Saudis zeigten ebenso Interesse wie (nicht alphabetisierte) Familien, denen solche Teppiche als eine Art Geschichtsschreibung galt. Und so erlebte die Kriegsteppichknüpferei in Afghanistan einen kleinen Boom. Der ebbte mit dem Rückzug der Russen seit 1988 ab.
Daß „Widerstand“ das zentrale Motiv der Kriegsteppich-Produktion war, ist eher unwahrscheinlich. Der „Feind“ ist nicht personifiziert – der Feind ist der Krieg. In Museum für Völkerkunde in Freiburg werden ebenfalls (bis 27.11.) unter dem Titel „Krieg und Alltag“ solche Teppiche gezeigt. Im Freiburger Katalog erklären befragte Knüpfer, daß es in erster Linie um die Erinnerung gehe: „Knüpfen ist wie Geschichten erzählen, und die Teppiche sollen helfen, nicht zu vergessen, wie grausam der Krieg ist.“ Und die Kinder sollten lernen, „daß ein solcher Krieg keine Sieger hervorbringt.“
Ein eigenständiges Genre konnte unter den Bedingungen und in der relativ kurzen Zeit nicht entstehen. Es gibt sehr traditionelle Arbeiten mit leicht zu übersehenden kleinen Zeichen den Krieges, aber auch sehr drastische Darstellungen, knallige Farben und mit lateinischen Buchstaben beschriftete Szenen („Helicoptere“, „Silo Harat“, „Water“). Es gibt Darstellungen von vielen kleinen Panzern, die so abstrakt sind, daß sie wie neue Ornamente wirken. Mal ist die Bordüre ganz traditionell, mal besteht sie aus lauter Nationalflaggen. Einige Bilder wirken eher auftrumpfend, stolz - andere dagegen elend, deprimierend.
Der Krieg in Afghanistan dauert an. Die Geschichte der afghanischen Kriegsteppich-Knüpfer ist noch immer nicht ganz vorbei; doch: „Wenn der Krieg wirklich zu Ende geht, werden wir nur noch normale Teppiche knüpfen,“ sagt der Teppichknüpfer Safer Ali. „Kriegsteppiche kann man nicht immer machen.“
Burkhard Straßmann
Die Ausstellung läuft bis zum Wochenende im Teppichgeschäft Heinrich Gleue, Rembertistraße 32.
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