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Bestimmt innere Blutungen

Marlon Brando hält den „Letzten Tango“ für unverständlich und „Queimada“ für seinen besten Film  ■ Von Hanns Zischler

Was veranlaßt einen Schauspieler, eine Autobiographie zu schreiben? Oder besser gesagt schreiben zu lassen? Was hat ein Schauspieler wie Brando, der ohne erkennbare Vorbilder der Godfather für unzählige Schauspieler und Medienanarchos geworden ist, mitzuteilen? Und was veranlaßt ihn, sich ausgerechnet einem penholder wie Robert Lindsey anzuvertrauen, der sich mit einer Reagan-Hagiographie in die Bestsellerlisten drückte? Die Antwort heißt: 5 (in Worten: fünf) Millionen Dollar.

Wie schwierig es ist, die flüchtige und lächerlich-ernste Kunst der Schauspielerei in Worte zu fassen, belegt dieses monströse Buch an vielen Stellen. Ein gefürchtetes Mittel zur Veranschaulichung des polymorphen Know-how ist die Anekdote, die wahre noch schlimmer als die erfundene. Brando liefert sie haufenweise, aber fast alle kommen sie eigentümlich lustlos und verschlissen daher, hundertmal erzählt, hundertmal abgelacht, seinem eigenen flackernden Gedächtnis förmlich nachsynchronisiert „gedubbt“, dubconscious mehr als subconscious.

Die Geschichten beispielsweise über seinen Katalysator Kazan – denn „entdeckt“ wurde Brando nie, schrieb Harold Brodky kürzlich, er war seine eigene Entdeckung – sind teilweise griffig und bissig, immer aber grundiert von leicht maliziöser Gleichgültigkeit für sein jeweiliges Gegenüber. Das Geheimnis seiner starken, bis heute anhaltenden Wirkung im Film, nämlich das unabweisliche, rein sexuelle Gefühl, auf niemanden angewiesen zu sein und jeden zu akzeptieren, nimmt in dieser späten Autobiographie desaströse Züge an – eben weil er offenbar mehr abgefragt und „gecheckt“ wurde, als daß er selbst wirklich erzählte. Mit schon sturer Automatik enden die meisten Geschichten der abertausend Begegnungen mit Frauen. „Nachdem Sylvia und ich uns wie üblich ausgiebig herumgewälzt hatten, sahen wir fern, bis sie müde wurde und nach oben ins Bett ging. Ich sah mir die Sendung noch zu Ende an, dann stand ich auf, um heimzufahren, doch plötzlich fühlte ich mich wie am Rand eines bebenden Abgrunds, nur um Haaresbreite vom Nichts entfernt. Durch den Nebel meines Schwindelgefühls fiel mir wieder mein rosafarbener Mageninhalt ein, und ich dachte: Ich habe bestimmt innere Blutungen.“ Zwar betont er mehrmals im Buch, wie gern er erzählen würde, aber er tut's nicht.

Wenn er Begegnungen mit Männern wie Tennessee Williams, Montgomery Cliff oder James Dean beschreibt, spürt man starke Affekte, aber je heftiger die Affekte, desto gleißnerisch verschwiegener der Ton. Brando ist vermutlich der einzige Schauspieler, der für Frauen wie für Männer gleichermaßen attraktiv war; das neue, offensive Bild des homoerotischen Mannes, das er schuf und verkörperte, hatte für nicht homosexuelle Männer nicht weniger Appeal als für Frauen. Es war ein Fließbild, es zielte in immer neuen Varianten auf Entblößung und Nacktheit. Wenn Humphrey Bogart in „African Queen“ ein fadenscheiniges Unterhemd trägt, dann phantasiert der Zuschauer Bogart zurück in ordentliche Klamotten. Brando hingegen wird im selben Kostüm zum Beispiel in „On the Waterfront“ vom Zuschauer ausgezogen.

Über sein Privatleben als Erwachsener will er nicht reden, irgendwann huscht das Wort „Alimente“ am Leser vorüber, aber der vergißt oder überliest es so schnell wie der Autor selbst. Über die Schauspielerei spricht er so pauschal, daß man nicht glauben möchte, daß Brando es ist, der hier redet. Er zitiert Shakespeare, der ihm aber insgesamt fremd bleibt, dann wieder plaudert er die soziologische Binsenweisheit aus, die Schauspielerei sei „eine Kunst ohne jedes Geheimnis“, weil ja schließlich jeder im Alltag etc. etc.

Einmal allerdings erwähnt er eine aufschlußreiche Episode, eine Art Training, dem er sich als junger Schauspieler unterzogen hat: „Ich saß oft in der Telefonnische im Optima Cigar Store Ecke Broadway/ 42nd Street und sah den Menschen zu, die draußen vorbeigingen. Nach zwei oder drei Sekunden waren sie wieder verschwunden, manchmal noch schneller. In dieser kurzen Zeit studierte ich ihre Gesichter, die Art und Weise, wie sie die Köpfe hielten und die Arme hin- und herschwangen, ihre Körperhaltung. Ich versuchte, ihre Persönlichkeit in mich aufzusaugen – ihre Geschichte, ihren Job, ob sie verheiratet waren, verliebt oder in Schwierigkeiten. [...] Ich wollte immer schon soviel wie möglich über die Schrullen von Menschen herausfinden, von denen sie selbst nichts ahnten.“

Tatsächlich spielt er wie ein enthemmtes Kind, er ist zu impulsiven Lockerungen und Enthemmungen „auf kleinstem Raum“ fähig wie keiner sonst. Er entfaltet diese Turbulenzen nicht glatt und, wie man so schön doof sagt, „versiert“, sondern eher stotternd, zögernd, umständlich; so wie er auch keinen Satz zweimal gleich ausspricht. Man sieht das, wenn man seine Filme anschaut, aber in der Schwarte findet man's nicht wieder. Einen Film wie „Der letzte Tango“ mag er nicht, bzw. er findet ihn unverständlich, „Queimada“ hingegen hält er allen Ernstes für seinen besten Film; um so verblüffender ist seine Erregung und die vehemente Ablehnung von Pauline Kaels eindringlicher Kritik des „Tango“, in der sie Brandos – bloß gespielte? – Hinfälligkeit und Verirrung, das Versiegen seiner Potenz(en), sein Älterwerden als ein unvermindert attraktives Schauspiel analysierte und damit etwas von dem Geheimnis Brandos lüftete. Brandos Reaktion ist ein bewegendes Zeugnis dafür, wie ein Schauspieler gegen das „Leben“ rebelliert, das ihn einzuholen droht.

An dieser Stelle hätte der Herr Lindsey, der Mann mit dem penholder, vielleicht ein bißchen tiefer bohren und mal nachfragen sollen, wie denn das Bild des eigenen Todes aussieht, das der Schauspieler mit sich herumträgt. Im Falle Brandos ist es tatsächlich, wie Pauline Kael richtig erkannt hat, besonders erregend, weil Brando auch noch in der langen Zeit des Ermattens, die genau mit dem „Tango“ beginnt, ein erotisches Objekt bleibt.

Was wäre denn mitzuteilen in einer Autobiographie, die im deutschen den gänzlich entstellenden Titel „Mein Leben“ trägt anstatt „Brando. Die Lieder, die mir meine Mutter beigebracht hat“, wenn nicht die Erzählung darüber, was einem widerfährt, der mehr als nur einen vielschichtigen Typus geschaffen hat, einem, der eine ganze Serie von „amerikanischen“, d.h. „sexuellen“ Revolten ausgelöst hat? Aber dafür bedürfte es eines Erzählers, der Brando nicht ist.

Der von Film zu Film gewachsene, immer dicker beschichtete Narzißmus Brandos ist zu ungebrochen, als daß er sich selbst und uns einen Blick hinter diese locker gepanzerte Selbstdarstellung gönnen würde – sofern es wirklich ein Dahinter gibt. Der Waschzettelautor von Bertelsmann behauptet, dieses Buch werde „das Bild des großen amerikanischen Schauspielers für alle Zeit verändern“. Wir wollen's nicht hoffen.

Zu den nicht wenigen Mängeln dieser Genitalographie zählt übrigens das Fehlen einer Filmographie; sie zumindest hätte dem Leser geholfen, beim bloßen Wiedersehen mit den Titeln und Namen den Schmonzes vergessen zu lassen, der ihm über 400 Seiten den Brando fast abspenstig gemacht hätte.

Marlon Brando: „Mein Leben“. Aufgezeichnet von Robert Lindsey. Aus dem Amerikanischen von Sonja Hauser und Elke Link. Bertelsmann, 444 Seiten; 58 DM.

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