Alles begann mit Claudias Schnitt

■ Im Warner-„Erlebniskaufhaus“ ist man sogar zu Dieben ausgesucht höflich

Markus, 17, hat die Hoffnung nie ganz aufgegeben. Und er wurde nicht enttäuscht. Sein Alltag spult sich in unerschütterlicher Regelmäßigkeit ab, er gehorcht den drei Konstanten Aufstehen, Schule, Hausaufgaben. Was danach passiert, ist auch immer gleich. Markus „nervt das total“: Langeweile. Aber seit einigen Wochen ist alles ganz anders und Markus wieder „gut drauf“. Am Mittag des 28. September weilte Claudia Schiffer in der Tauentzienstraße und durchschnitt ein rotweißes Absperrband. Kurz darauf durfte dann auch das Berliner Volk den Warner Bros. Store betreten, das „Erlebniskaufhaus“, wie ortsansässige Reporter euphemistisch titelten.

Seit dieser Zeit ist nun kein Tag vergangen, an dem sich Markus nicht in dem Laden rumtrieb. Gekauft hat er noch nichts, dafür kennt er jeden Film auswendig. Auf mehreren Großbildschirmen werden in unregelmäßiger Reihenfolge Bugs Bunny, Speedy Gonzales, Sylvester, Tweety und Duffy Duck reaktiviert. Selbst wer nicht hinguckt, kriegt noch in der hintersten Ecke akustisch mit, was den Schießbudenfiguren aus Amiland so alles widerfährt.

Die Filme kann man kaufen, wie man überhaupt alles kaufen kann, was sich anziehen läßt, woraus man trinkt, womit man Briefe schreibt. Markus kriegt aber kein Taschengeld, es ist ihm für die nächsten drei Monate ersatzlos gestrichen worden. Wegen schlechter Noten. So ist er quasi gezwungen, einen großen Teil seiner Zeit im Warner Store totzuschlagen.

Markus gehört dann wahrscheinlich zu den Kunden, die manchmal vier Stunden auf den 2.400 Quadratmetern rumtrödeln. In einer konzerninternen Umfrage hat man eine durchschnittliche Kundenaufenthaltsdauer von bis zu zwei Stunden ermittelt. Der Durchschnittsberliner muß außerordentlich optisch veranlagt sein, denn der Gratis-Trip nach Hollywood in Charlottenburg steht diametral zum Umsatz. Gucken ja, kaufen vielleicht.

Aber der Kunde wird ja auch nicht dazu gezwungen, man läßt ihn in Ruhe stöbern und Jungs wie Markus Filme gucken. In einem einwöchigen Training wurde den 74 schwarzgekleideten Mitarbeitern eingetrichtert, die Kunden nur ja nicht aufdringlich mit einem „Kann ich Ihnen helfen?“ zu erschrecken. Außerdem sind sie laut „Einsatzplan“ verpflichtet, einmal am Tag eine Stunde lang an der Drehtür zu stehen, den Kunden in die Augen zu schauen und „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ zu wünschen.

Die Begrüßungsarie soll auch eine heilpädagogische Wirkung ausstrahlen – auf die Seelen der Mitarbeiter: „Das macht uns allen den Tag leichter“, sagt Redouan Krösing, 29, der Store Manager. Und weil man sich ja sonst nichts gönnt, dürfen die Mitarbeiter abends ab 18.30 Uhr ihre eigenen Musik-CDs über die Hausanlage abspielen, während sie Pullover wieder zusammenfalten und Baseballjacken nach Größe ordnen. Sie schaffen Ordnung nach Geschäftsschluß, um dem Kunden tagsüber „nicht den Rücken zuzukehren“.

Die Freundlichkeit im Warner Store sprengt alle Rahmen. Sogar zu Dieben ist man so zuvorkommend, wie sonst nur bei Tiffany's. In dem einwöchigen Seminar werden selbst die unappetitlichsten Szenen aufs köstlichste nachgespielt. Wenn am Eingang die Stimme von Bugs Bunny im Fall der Fälle den Mitarbeitern signalisiert, hier schleicht sich jemand raus ohne Kassenbeleg, wenden sie sich an den Dieb – und sagen: „Entschuldigen Sie, aber Sie haben vergessen, das Preisschild abmachen zu lassen.“ Besonders raffiniert – und beliebt – ist diese Variante: Sich dem Dieb in den Weg zu stellen und fragen: „Möchten Sie bar oder mit Kreditkarte bezahlen?“

„Die meisten kriegen einen roten Kopf“, sagt Krösinger. Warum das Berliner Volk den Warner Store im Europa-Center heimsucht und Zeichentrick-Überfluß kauft, weiß Gott allein, Redouan Krösinger jedenfalls nicht: „Wenn ich das wüßte, wäre ich Dalai Lama.“ Thorsten Schmitz