piwik no script img

Plädoyer für die Brägenwurst

■ ... und gegen die Abschaffung des Bußtags / Letzte Mahnung Von Uli Exner

Heiliges Kreuz. Das geht einem ja an die Nieren. Diese Ungewißheit. Soll man sich in Hamburg nun vorbereiten auf den letzten Bußtag seines Lebens? Alle Sünden zusammentragen, um am Abend zuvor noch ein letztes Mal Grünkohl mit Brägenwurst in Ruhe, Würde und zum Wohlgefallen der evangelisch-lutherischen Kirche Nordelbiens verspeisen zu dürfen? Schnaps hinterher?

Jaja, ich weiß, diese Art niedersächsischer Bußtagskultur entspricht nicht unbedingt Hamburger Traditionen. Nur soviel: Brägenwurst schmeckt so ähnlich wie Kochwurst – in Verbindung mit grünem Kohl, Senf und reichlich Speck einfach göttlich. Nur: Man braucht halt einen freien Tag nach diesem Abendmahl. Und den will ja der Senat ....

Ja, will er denn nun eigentlich? Am vergangenen Dienstag zumindest ließ er sich noch nicht dazu hinreißen, den Bußtag auf alle Ewigkeit zu verdammen. Weil, so die schnöde Begründung, man gerne noch die CDU – deren Kohl ja unseren Kohl erst zum Verderben bringen will – noch mit auf den Kreuzzug gegen den schönsten aller Feiertage nehmen wollte. Wir vermuten: Dies war nicht der all-einzige Grund für die Nichtbefassung des Senats.

Schließlich wagte es bisher selbst der höchst säkulare Präses Henning Voscherau nicht zu verkünden: „Ich bin für die Abschaffung des Bußtages.“ Statt dessen ein Verweis auf die bonngegebenen Sachzwänge plus einem Fingerzeig auf die Nachbarvölker, deren Simonisse und Schröders den Feiertags-Verzicht ihrer Untertanen bereits erklärt haben. Wobei – dieser Hinweis sei erlaubt – der niedersächsische Ministerpräsident den Verrat an den Traditionen seines Heimatlandes noch büßen wird. An welchem Tag auch immer.

Auch wenn dies im Hamburger Rathaus durchaus mit Vergnügen betrachtet werden dürfte: Für die nun am kommenden Dienstag in Hamburg anstehende Entscheidung empfehlen wir einen Blick in Brockhaus' 24bändige Enzyklopädie. Die verrät uns, warum der römische Kaiser Theodosius der Große die aus vorchristlicher Zeit stammenden Bußtage (mehrere! Jawoll!) im Jahr 325 in die abendländische Kultur hinüberrettete: Nämlich, um „durch gemeinsame Buße des Volkes die Landesnot zu beheben“.

Wie, wenn man in dieser Stadt schon nicht an die segensreiche Wirkung der Brägenwurst glaubt, sollte diese – amtlicherseits ja stets beklagte – Landesnot (Finanzen!!!) denn künftig behoben werden? Vielleicht durch hellsichtiges Handeln der Stadtregierung? Nein, lasset ab von diesem heidnischen Aberglauben! Bußtag abschaffen? Niemals! Hamburg braucht ihn heute dringender denn je.

Ja, ja, spätestens an dieser Stelle mußten sie ja kommen. Die mahnenden Finger der Feinde der Brägenwurst: Aber die Pflegeversicherung .... Woher soll das Geld denn kommen? Zitieren wir – auch zur Kenntnis unserer Bürgerschaftsabgeordneten, die ja dereinst auch noch ihr Bußtags-Bekenntnis ablegen müssen – zur Beantwortung dieser Frage aus einem Faltblatt der Nordelbischen Kirche, in der wir zu unserer Freude zahlreiche Brägenwurst-Fans wähnen: „Sind denn wirklich alle Möglichkeiten zur Finanzierung der Pflegeversicherung durchdacht worden? Wohl kaum.“

Fürwahr. Wer hat denn beispielsweise schon einmal über ein „Sonderopfer Brägenwurst“ nachgedacht, um den Arbeitgeberanteil für die Pflegeversicherung zu refinanzieren. Niemand, behaupten wir und fordern die Verantwortlichen dieser Stadt auf, dies nachzuholen. Sonst, und da verweisen wir noch einmal auf den Brockhaus, droht „die ewige oder Höllenstrafe“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen