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Und weiter warten die Knackies

■ Spritzen im Knast? Justizdeputierte mochten nicht entscheiden

„Fast eine Sternstunde“ sei die gestrige Sitzung der Justizdeputation gewesen, sagte Justizstaatsrat Michael Göbel hinterher. Eine Sternstunde, weil alle Beteiligten äußerst sachlich diskutiert hätten – und das bei einem so brisanten Thema wie der Spritzenvergabe im Knast. Eine Sternstunde an Entscheidungsfreude allerdings war die Sitzung nicht: Die Deputation hörte sich zwar mehrere Stunden lang die Argumente von Seuchenhygienikern und Drogenfachleuten an sowie den Arbeitskreis „Infektionsprophylaxe im Knast“, aber für oder gegen Spritzenautomaten haben sich die Abgeordneten nicht entschieden.

Sie erkannten zwar durchaus die Argumente der Seuchenhygieniker an, daß das Needlesharing zu Infektionen mit der oft tödlich verlaufenden Hepatitis C und mit HIV führe, doch die Argumente der Justizverwaltung schienen ebenfalls schwerwiegend: Die Justizverwaltung befürchtet nämlich, daß mit der offiziellen Spritzenabgabe mehr Gefangene in Versuchung geraten könnten zu spritzen. Bewiesen worden ist das noch nirgends – der europaweit bislang einzige Versuch mit Spritzenautomaten in einem Schweizer Gefängnis läuft erst seit Mai.

Außerdem befürchten die VollzugsbeamtInnen, daß die Spritzen als Waffen eingesetzt werden könnten. Allerdings gibt es auch jetzt schon Spritzen im Knast – schließlich sind etwa 150 der rund 400 Gefangenen drogenabhängig. Und von einer Bedrohung mit Spritzen ist nichts bekanntgeworden.

Wenn gestern abgestimmt worden wäre, hätte die Gefängnisleitung gegen die Spritzenabgabe gestimmt, das Gesundheitsressort dafür, SPD und CDU wohl eher dagegen und die Grünen hätten vermutlich geraten, es wenigstens mal zu versuchen. „Aber es gibt niemanden, der sich getraut hätte zu sagen: Macht das jetzt endlich, genausowenig wie es niemanden gab, der gesagt hätte: Auf gar keinen Fall in den nächsten hundert Jahren“, faßte Göbel die Stimmung zusammen.

Ändern wird sich also weiterhin nichts. Zur Erinnerung: Seit 1988 fordern Bremer Drogenhilfeeinrichtungen sterile Spritzen für Knackis. Gelegentliche Throw-Ins über die Kanstmauer konnten den Bedarf an Spritzen natürlich nicht decken. Das Betäubungsmittelgesetz von 1992 würde Automaten erlauben – allein schon der Gleichbehandlung wegen: Auch Knackies sollen sich vor Aids schützen können.

Der Justizsenator will die Praxis in den Knästen also nicht ändern, man fragt sich dort allerdings, wieso denn nicht die Gesundheitssenatorin, die so vehement für die Gefangenen eintritt, den ihr unterstellten psychisch kranken Knackies in der Forensischen Psychiatrie sterile Spritzen austeilt. cis

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