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Einmal eins macht drei,

(Klammer zu): Eine klassische Rechnung in Deutschland. Betrachtung einer migrantierten Wanderseele zum Wechselspiel der Generationen  ■ Von Paco Sanchez

„Ay, Paco!“ entseufzte es meiner problemgeschulten, migrantierten Wandererseele, und das, obwohl ich ausgewiesenermaßen summa sine laude war in der Wissenschaft der hohen Mathematik: „Noch eine Generation! – Klappe. Die Dritte!“

Kaum hat man die Erste Generation der „ArbeitsmigrantInnen“ (gemeint sind natürlich, für die Geschichtsvergessenen seien sie deshalb ein vorletztes Mal benannt und in Erinnerung gerufen, die GASTARBEITERINNEN) als despektiv begrifflich überholt ins begreibare Nichts dieses Neinwanderungslandes integriert – sie sind ja schließlich in Altersheimen, Krankheiten, Heimkehrungen und Tod auch gut aufgehoben und werden peinlich stur in Vergangenheit wie Zukunft als almosende Wesen herzöglichst verkohlt ausgesessen –, kaum hat maNN sie also in die Gewohnheit geschlossen wie Tiere ins Herzilein, – entmündigt, versteht sich – da waren (und sind) die noch jungen und kräftigen und im Augenblick zeugenden Exponate der Zweiten Generation als identitätskonfliktende Geschöpfe zur Notkunft offizielles Deutschland zwangsverpflichtet worden – Heimatlinge ein Leben lang – et voilà: schon wird die „Dritte Generation“ angemeldet: die Kindeskinder der Ersten und folglich die Kinder der Zweiten, jener hier bereits Gebürtigen (nicht Ebenbürtigen) oder aber als Kleinkinder und Heranwachsende nachgeholt familienzusammengeführten Nicht-Deutschen, irgendwo Dazwischendrunterdrüberseienden ... Ziffernspiel wie Nummern: Das System ist funktionsträchtig.

Ich habe eigens meine jüngste Nichte, eingeboren in Germany anno 1993, als Betroffene der sich fremdeerneuernden Katalogisierung für diesen taz-Kommentar befragt: Sie meinte nach längerer Überzeugungsarbeit meinerseits: „Mmaamma, PPappa“ – und lachte zahnlos in die Runde; tappelte dabei in die Arme meiner Schwägerin, als berührte diese Auseinandersetzung nicht im geringsten ihre bisherige Nationalität aus Laufstall und Lätzchen.

Des Müllers Lust, des deutschen Frust – Ordnungsliebe, bisweilen – Hiebe nennen Menschenkenner diesen trümmerhaufenden Hang zur Konfliktbenamsung: Schublade auf, Schublade zu: Fertig das Thema und das Tabu – und draußen (wenn auch tolerisiert, postfrisiert – im inneren Rahmen der Sicher- und Reinheit) bleibst Du! Schließlich ist da ja die Angst, man könnte degenerationieren, das heißt der völkischen Identitäter verlustig werden ... bei sooooviel Fremde.

Das Elend wird anderszusagen weitergesch(n)ürt. Knoten um Knoten: verhindert: die Akzeptanz (noch so ein gebeuteltes Wörtchen). Also – da mache sich doch mein Hirn ein' Reim drauf.

Aber Ernst beiseite: Meine zweite Nichte, Jahrgang 87, zum selbigen Thema ausgehorcht, erwiderte prompt: „Also, das ist so: Ich muß auf meinen Papa aufpassen, weil Menschen wie er einer ist, die werden überfallen. Er ist doch gar kein Deutscher! Verstehst Du das?“

Große und entschiedene Augen schauten mich an. Ich muß ihr wohl die dümmste und überflüssigste Frage in ihrem nachgenerationären Leben gestellt haben.

„Paco, Paco“ ... – so erzieht man Außenseiter und grenzt sie aus ...

Porca Miseria! Obwohl ich eigentlich doch nur wissen wollte, wie sie sich als Vertreterinnen der Dritten Generation eines klassischen Gastarbeiterherkunftslandes ihre Zukunft in diesem Land vorstellten, gaben mir die zwei Kleinen einfach Rätsel auf wie die hiesige Demokratie Lügen zelebriert. Nicht einfach so.

Eigentlich haben die beiden im menschlichen Sinne ja Recht – auch wenn das seit fast 40 Jahren Einwanderung nicht gefragt, sondern lediglich in Notfällen eines in die Schwindsucht geratenen Ansehens lichterketternd geduldet ist und um Gnade bettelt: Von meinem Vater aus gerechnet, bin ich, Paco Sanco, zum Beispiel Angehöriger der Zweiten Generation.

Setze ich den Rechenstab hingegen bei meinem Großvater, sagen wir: „väterlicherseits“ an, dann müßte ich mich als die Dritte Generation bezeichnen, und – eröffnete ich die mathematische Formel gar mit meinem Urgroßvater mütterlicherseits, der national als verschollen zu gelten hatte, weil fremdländisch unehelich, – wirklich das Äußerste, was man von mir verlangen kann, um mich nicht ganz im Ahnenwirrwarr zu verrechnen und die Summe der Beweise als Wahrheit anzunehmen – dann, tja: dann bin ich die Vierte Generation ... Tja –

Paco Sancho, Du kannst stolz darauf sein, immer und wieder alle Generationen gleichzeitig zu leiben! Du bist inflationär wie Bonner Camouflagen. Gratulation!

Ay, diese geheimnisvolle Rechnerei ins Abzeitige! Und dabei beschränkte sich der in diesen Zeilen ohnsinnig Sprachkalkulierende schnittmengenmäßig wirklich nur auf das Gros der liebestoll beschworenen „Ausländischen MitbürgerInnen!“ (Gelobt seien die Bürgerrechte. Amen) – von den Asylsuchenden gar nicht zu schweigen.

Auch eine Logik, made in Germany. Ganz wie dieses inhumane Anzählen auf dem Hin und Her des Rechenschiebers einerMöchtegernnation nach morgen ... Nachhilfeunterricht ist angesagt vor der Reifeprüfung ins Nullende.

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