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Fundus Greiz

■ Mit dem NDR-Shuttle von HH-Lokstedt nach Greiz, Thüringen. "Der Mann im schwarzen Mantel". Eine Reise.

Später, bei jener Gelegenheit, die im Westen „Empfang“ genannt würde, im Osten aber ein sitzendes Beisammensein meint, später also sitzt Regisseur Horst Königstein recht beglückt da – ganz so wie ein Kind, das seiner Mutter gerade die erste Eins in Rechtschreibung mitteilen konnte.

Ja, es gab sogar Beifall für ihn, für alle Beteiligten, die da an diesem Abend in Greiz auf Einladung des NDR zusammengekommen waren, um der Premiere eines Films beizuwohnen, der sehr viel, fast alles mit dieser thüringischen Kleinstadt zu tun hat. Dort, wo sich seit Ende der sechziger Jahre soviel heimliche, wirkliche Geschichte der DDR abgespielt hat. Es ist die Stadt, in der der spätere Ost-SPD-Mitgründer und enttarnte Stasi-Mann Manfred Ibrahim Böhme seine Petzerei begann, seine Denunziation und seine Arbeit im Sinne einer ästhetischen Erneuerung dessen, was er unter Sozialismus verstand.

Die Stadt ist längst noch nicht so ausgeleuchtet, wie es vergleichbare Ansiedlungen im Westen wären. Kaum schicke Geschäfte, hier und da und bunte Reklame, ansonsten, bis auf einige frisch asphaltierte Straßen, gibt sich dieses Greiz so abseitig wie es liegt: am Ende der Welt – selbst für DDR- Verhältnisse. Und doch ist es die Stadt, in deren Umgebung Dichter wie Reiner Kunze lebten, aus der Leute wie der sächsische CDU-Politiker Arnold Vaatz oder Jürgen Fuchs stammen oder lebten. Und eben auch dieser Manfred Ibrahim Böhme, der nachweislich für den Staatssicherheitsdienst jene Leute ausgehorcht hat, die heute zur Dissidentenprominenz zählen.

Greiz – ein Touristenmärchen. Rundherum Hügel, typisch für Thüringen, wie man sich erzählt. Gott habe sich nicht entscheiden können, sagt ein Einheimischer im „Schloßcafé“: So geriet ihm die Gegend um Gera, Schleiz und Greiz weder gebirgig noch flach. Urlauber würden so etwas schätzen. Aber so weit ist es in der alten Textilstadt Greiz noch lange nicht, daß an jeder Ecke Weihnachtsmärkte locken würden, Kerzen in den Fenstern brennten und mit Dringlichkeit Gemütlichkeit einforderten.

Vorläufig liegt Greiz noch in der Diaspora: ganz weit draußen. Hier hat Ibrahim Böhme, der „Mann im schwarzen Mantel“, dieser realsozialistische Poseur in der Rolle des Bohemien, zur Zeit des Prager Frühlings, also Ende der sechziger Jahre, gelebt. Natürlich ist er an diesem Abend nicht da. Womöglich hat er mit einer Abrechnung gerechnet. Inquisition?

Aber die vier Helden von Greiz, die heute weniger prominent sind, aber dennoch im Geflecht des Ibrahim Böhme allein schon freundschaftshalber eine wichtige Rolle spielten, diese vier – der Maurer Günter Ullmann, der Elektromechaniker Jürgen Kornatz, der Werkzeugschlosser Rudolf Kuhl und der Maschinenbauer Harald Seidel – sie spekulieren gar nicht auf Rache. Sie alle, vier Musiker, eine Clique, scheinen mit einer nachgerade biblischen Güte gesegnet, die im Westen nicht verstanden würde.

Gerade Günter Ullmann, der nach der Böhmeschen Denunziation von der Stasi psychiatriert wurde, dem man mindestens ein Jahrzehnt seines Lebens stahl, der sich, fast wahnsinnig geworden, alle Zähne ziehen ließ, dieser Ullmann erklärt auf die Frage, ob er etwas dagegen gehabt hätte, wenn Ibrahim Böhme zur Premiere gekommen wäre: „Nein, ich hätte mich sogar gefreut, ihn mal wiederzu sehen.“ Man bleibt ziemlich allein auf der Suche nach Haß.

Ja, weißt Du noch, Genosse Judas ...?

Seltsamer Osten. Birgit Lahann, Starreporterin beim Stern, hat zwar nicht die Stasi-Arbeit Böhmes enthüllt – aber sich dem Menschen genähert. Hat in Greiz gesucht, Menschen befragt, mit ihnen Freundschaft geschlossen. Eine vorsichtige Reporterin, die sich der eigenen Fähigkeit zur Überraschung nicht schämt. Sie hat Manfred Ibrahim Böhme interviewt, hat ihn reden und sich inszenieren lassen in seiner Berliner Wohnung, aus eigenem Entschluß von der Welt verlassen. Was muß das für eine nervige Arbeit gewesen sein – einen Mann sprechen zu lassen, der beim Studium von Stasi-Akten sagt: „Ja, das ist meine Handschrift, aber ich habe das nicht geschrieben.“ Herausgekommen ist schließlich das Buch „Genosse Judas – Die zwei Leben des Ibrahim Böhme“. Es ist auch eine Liebeserklärung an die vier Freunde, die Ende der sechziger Jahre in einem Greizer Jugendclub Musik machten, eine Art Free Jazz mit expressiven, Westlern unzugänglichen Gedichten, so stark codiert, chiffriert und zwischen allen Zeilen nur Eingeweihten verständlichen Wortspielen, daß die Westbesucher bei der Premiere schweigen und die Greizer Premierengäste allein nicken: „Ja, weißt Du noch ...“

Daß der NDR-Regisseur Horst Königstein sich dieser Tragödie angenommen hat, wundert kaum. Der Mann, verantwortlich für Filme wie „Hamburger Gift“, „Hard Days, Hard Nights“ oder „Am Tag, als Elvis nach Bremerhaven kam“, mag solche Geschichten: „Ich will die Dinge so trivial zeigen, wie sie wirklich sind.“ Königstein, ein Dokumentar des Alltags wie des schlechten Geschmacks, interessierte sich freilich mehr für die Szenerie in der DDR am Ende der sechziger Jahre. Der politische Skandal berührt ihn nur am Rande: „Ich dachte immer, so grau, wie es im Westen erzählt wird, kann die DDR nicht sein.“

Hat es Ende der sechziger Jahre auch in der Arbeiter- und Bauernrepublik so etwas wie ein kleines Achtundsechzig gegeben? Einen Aufbruch, stilistisch zum Ausdruck gekommen in Pop-art und grellen Farben? Königstein und seine Crew suchten – und wurden fündig. „Plötzlich haben die Leute angefangen, sich zu erinnern. Mein Gott, wie schnell ist das durch die Wende schon verschüttet worden.“ „Der Mann im schwarzen Mantel“ darf als Beitrag zur Erhellung des deutschen realsozialistischen Alltags gelten – unabhägnig eben von dem, was hinter den Kulissen denunziert und wie das mitmenschliche Klima vergiftet wurde. „Wir kamen nach Greiz und hatten gehofft, daß unser Fundus etwas von alten Klamotten enthalten würde“, erzählt Königstein so zwischen zwei Gläsern Mineralwasser. Fehlanzeige. Erst ein Anruf bei der Stelle für Altkleidersammlung brachte das Erhoffte: „Die Leute waren gerade dabei, alles wegzuwerfen, was noch kein Museum gesammelt hat.“ Der Böhme-Film ist so auch das erstaunliche Porträt eines Kleinstadtlebens zwischen Beatbewußtsein und Muffigkeit deutschen Spießertums, zwischen großer Pose der Befreiung und flüchtiger Körperlichkeit samt verklemmter Sexualität: Oder überrascht es etwa nicht, daß im Osten offensichtlich die gleichen Befindlichkeiten stritten wie im Westen? Man merkte während der Vorführung sofort, wer von „drüben“ nach Greiz kam: Die DDR lacht vorsichtig über das, was ihre eigene Vergangenheit ausmacht, der Westen ist ratlos über so wenig Schwarzweiß.

Am Ende des Tages, den die Westler als Empfang, die Ostler als sitzendes Beisammensein begehen, meint Ullmann dann: „Er hat uns ja auch immer viel geholfen, mit Räumem für unsere Musik und wenn wir sonst Schwierigkeiten hatten.“ Ein kleines Plädoyer für den Mann, der alles hörte, alles organisierte und bei allen beliebt war – und doch alles weitertrug zu den Stellen, die alles im Griff haben wollten. Böhme soll diese Taktik für schlau gehalten haben. Jan Feddersen

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