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Was das Weib will

■ Und was der Mann: Zwei neue Bücher von Bodo Kirchhoff und Marguerite Duras lassen endlich gültige Schlüsse zu

Endlich, meint mein schwuler Freund F., der mit Interesse die Entwicklung der Sexualwissenschaft verfolgt, müsse man sich einmal um den heterosexuellen Mann kümmern: „Über den weiß man doch gar nichts!“ In der Tat darf man sich wundern, daß wir von Freud nicht die Frage kennen „Was will der Mann?“, sondern nur die viel zu oft zitierte „Was will das Weib?“. Letztere Frage dürfte mit der neuen Publikation der alten Marguerite Duras übrigens endgültig beantwortet sein (siehe unten); bei der Sache mit dem Mann hingegen befinden wir uns nach wie vor in den Kinderschuhen. Eines nur ist klar: Verwirrung ist über die Männer gekommen.

Der 46jährige Schriftsteller, der es geschafft hat, bekennt: „Es gibt ja längst drei Geschlechter, männlich, weiblich, sportlich.“ Eher beglückt als bedrückt stößt der Frauenliebhaber auf die Erkenntnis: „Nur wer wirklich nicht schwul ist, kann in diesen Zeiten so gelassen von sich sagen, er sei unter gar keinen Umständen schwul.“ Außerdem sei sehr die Frage, ob die weibliche Brustwarze überhaupt empfindsamer sei als die männliche. Möglicher Grund des politisch korrekten Durcheinanders der Sinne könnte das gefährlich enge Verhältnis zur Mutter sein, einer herrischen Göttin und ehemaligen Stripteasekünstlerin: „Mama wäscht mir die Beine, und wir reden über Striptease.“ Bodo Kirchhoffs Wahl-Papa ist wahrscheinlich Georges Bataille, dem er abgelauscht hat, daß nicht Sex sexy sei, sondern Worte – Worte – Worte. Kirchhoffs jüngster Prosamonolog jedenfalls, der die erwähnten neuen männlichen Irrungen, Wirrungen verhandelt, kündigt einen Striptease an, der nicht stattfinden wird; und will dabei erregend sein: „Am Ende der Nummer, wenn Andrea nur noch ein Bändchen trägt und Ihnen langsam die Kehrseite zudreht, scheinbar ganz in Gedanken – etwa so, ungefähr – wird eine unwiderrufliche Aufforderung an Sie ergehen: sich dieses letzte Bändchen als entfernt vorzustellen, und das nicht nur für den Augenblick, sondern für alle Zukunft, was Sie als Tortur nicht unterschätzen sollten.“ Im Publikum meint Kirchhoffs „Ansager einer Stripteasenummer“ ein Knistern zu hören, das darauf hinweise, na ja.

Das Ich, allein zu Haus

Wie gesagt, der Strip findet nicht statt, das weiß man leider schon sehr bald. Die angekündigte Stripperin Andrea, mit Hilfe der Genitivbeugung („Andreas Auftritt“) geschlechtlich absichtlich ambivalent gehalten, wird im zweiten Teil des Monologs dann definitiv als Andreas ausgegeben. Das ist hübsch ersonnen, aber überholt. Auch die wiederholten Andeutungen, daß der „Ansager einer Stripteasenummer“ selbst jene Andrea/ Andreas-Figur sei (was den FAZ- Rezensenten dazu veranlaßte, in Kirchhoffs Monolog ein Stück über die Eitelkeit des Schriftstellers zu sehen), klingen nach der verspätet umgesetzten Erkenntnis des großen Freud, daß das Ich nicht Herr im eigenen Haus sei. Die Folge: Das Ich kann sich nicht ausziehen, es kann sich nur verstellen. Wer diese ursprüngliche Beleidigung des vernunftbegabten Mannes immer noch für befreiend hält, wie in den angeblich sorglosen achtziger Jahren gang und gäbe, muß Kitschier bleiben.

Ein solcher, allerdings wie immer irgendwie gut lesbarer, ist Bodo Kirchhoff in seinem neuen, schmalen, fein ausgestatteten Büchlein. Verstellung hält er für eine große Kunst, und es ist der klassische Strip, so wird überdeutlich suggeriert, der das Non plus ultra der Verstellungskunst darstelle. Seinen „Ansager einer Stripteasenummer“ läßt Kirchhoff daher alles zugleich sein: Ansager, Andrea, Andreas, Stripper. Die Idee ist Kirchhoff gar nicht zu verübeln – es muß ja kein Privileg der Frauen und Schwulen sein, die Kunst der Verstellung ausüben zu dürfen, ohne sich lächerlich zu machen; aber muß man es so theorielastig anstellen? Muß das Theorem des „klassischen Striptease“ dafür herhalten, daß einem Mann die Schranken des Geschlechts zu eng geworden sind? Wenn Bodo Kirchhoff das Wort „Schoß“ nicht mehr „das natürlich Liebste“ sein wird, wie noch der Fall, wird er hoffentlich wissen, was der Hetero in ihm alles wollen darf. Bis dahin neugieriges Warten.

Als U. in einem Schaufenster in Z. ihr neues Buch entdeckte, dachte er, er spinne. Denn natürlich hatte ich ihm sofort und mehrmals das Duras-Pastiche vorgetragen, das F. und ich uns ausgedacht hatten. Es geht so: „Sie trat auf die Straße. Sie wußte noch nicht, daß sie schreiben würde. Aber sie würde schreiben.“ Und jetzt heißt das neue Buch von Marguerite Duras allen Ernstes: „Schreiben“. Wir waren begeistert.

Eines ist klar: Die alte, auflagenstarke Dame der französischen Literatur hat ihre Antwort auf Freuds bohrende Frage gefunden. Das Weib will, was es muß – schreiben: „In der ersten Periode meiner Einsamkeit hatte ich schon entdeckt, daß es Schreiben war, was ich tun mußte.“ Frauen beklagen sich ja gerne, daß Männer es nicht mögen, wenn sie klug seien – man denke an Elfriede Jelineks unsägliche Interviews, in denen sie diesen Unsinn bis zum Umfallen herunterleiert.

Schreiben macht wild

Bei Duras, das muß man zugestehen, hat die unüberwindliche Geschlechtertrennung, an der auch ihr Wunschapparat festhält, immerhin den Charme des Machos. Obwohl Männer „eine Frau, die schreibt“, nicht ertragen – „Das ist grausam für den Mann“ –, gibt sie an anderer Stelle zu: „Ich bin selten ohne Liebhaber gewesen.“ Aber – der darf vom Schreiben (das große Geheimnis!) nichts wissen. Duras' Ratschlag Nr. 1: Keine Sekretärin haben. Und Nr. 2: „Die Frauen sollen die Bücher, die sie schreiben, nicht ihren Liebhabern zu lesen geben.“ Pourquoi donc? „Das Schreiben macht einen zum Wilden. Man kehrt zu einer Wildheit zurück, die vor dem Leben da war.“ Genug der Beispiele. Ziehen wir ein erstes Fazit. Männer wollen endlich dürfen, was Frauen schon lange dürfen: Rollen spielen, sich verstellen, genießen. Sie verlangen: die Auflösung der Geschlechterordnung. Frauen dagegen wollen, was Männer immer schon durften: Liebhaber haben und schreiben. Bloß keine Vermischung der Sphären. Um sie zu vermeiden, behaupten sie, Männer ertrügen sie nicht, was aber (siehe oben) nicht ganz stimmt. Ergo: Männer sind mehr p.c., als Frauen recht ist. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann reden/schreiben sie immer noch aneinander vorbei.

Beide Bücher könnte man als gehobene Unterhaltungsliteratur in Sachen Geschlechterfragen und Kunstproduktion begrüßen. Doch, leider – sie sind ganz und gar ernst gemeint. Kirchhoff meint es ernst mit seiner Begeisterung für das den Sex ersetzende antizipierende Sprechen, Duras mit dem die Einsamkeit und Wildheit zementierenden Schreiben: zweimal Fetisch Kunst.

Das Ergebnis heißt nicht Camp, sondern Kitsch. Fazit zwei: Schnell vergessen. Ina Hartwig

Bodo Kirchhoff: „Der Ansager einer Stripteasenummer gibt nicht auf“. 61 Seiten, 19,80 Mark.

Marguerite Duras: „Schreiben“. Aus dem Französischen von Andrea Spingler. 58 Seiten, 19,80 Mark.

Beide Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main

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