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NRW: Kritische Gutachter unter Druck gesetzt

■ Schwere Vorwürfe gegen Düsseldorfer Landesregierung / Umweltgutachter sprechen von wiederholten „Pressionen“ bei Dioxin- und Holzschutzmittelstudien

Düsseldorf (taz) – Hochrangige Mitarbeiter der nordrhein-westfälischen Landesregierung haben nach den Worten des Hamburger Dioxin-Experten Wilfried Karmaus vom NORDIG-Institut für Gesundheitsforschung kritische Umweltgutachter wiederholt unter Druck gesetzt. Laut Karmaus gab es „Einflußnahmen im Bereich der Holzschutzmittel, der Kieselrot-Studie, des Bomber-Absturzes in Remscheid und der Dioxinbelastung in Dortmund-Scharnhorst“. Im Fernsehen des Westdeutschen Rundfunks erklärte Karmaus weiter: „Ich weiß von Wissenschaftlern in diesem Lande, daß bei der Vergabe von Aufträgen, bei der Anschaffung von Geräten und bei der Abfassung von Berichten Pressionen ausgeübt werden.“

Der Hamburger Arzt und Mitautor der Holzschutzmittelstudie, Rainer-Ullrich Fabig bestätigte in der Sendung des WDR die Darstellung Karmaus'. Ihm sei von einem Mitarbeiter des Landesgesundheitsministeriums mit dem Entzug der kassenärztlichen Niederlassung gedroht worden. „Ich wurde angerufen, und eine solche Drohung wurde ausgesprochen.“

Hochgekommen sind die schweren Vorwürfe im Zusammenhang mit dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Düsseldorfer Landtags, der die Hintergründe der extrem hohen Dioxinemissionen in dem Dortmunder Hoesch-Stahlwerk aufzuklären versucht. Im Auftrag des U-Ausschusses sollte Karmaus die zum Hoesch-Fall erstellten medizinischen Gutachten beurteilen. Das Ergebnis war für die nordrhein- westfälische Landesregierung niederschmetternd: „Insgesamt weist die Studie so gravierende Schwächen auf, daß keine gültigen Schlußfolgerungen gezogen werden können“, schrieb Karmaus. Der Öffentlichkeit werde „eine trügerische Sicherheit vorgespielt“. Gleichzeitig warf Karmaus den nordrhein-westfälischen Behörden vor, die Referenzstudie aus einem Reinluftgebiet in Steinfurt durch die nachträgliche Einbeziehung weiterer Personen „verzerrt“ zu haben. Durch diese „Verzerrungen“ wurden die Dioxinwerte in dem Reinluftgebiet, so die grüne Fraktionssprecherin Bärbel Höhn, „künstlich erhöht“. Im Ergebnis, so Höhn, „konnten die Dioxinwerte in belasteten Gebieten damit verharmlost werden“.

Vor dem U-Ausschuß berichtete Karmaus in der vergangenen Woche darüber hinaus von zwei Institutsleitern aus NRW, die sich ihm gegenüber über „Pressionen“ seitens der Düsseldorfer Landesbehörden beschwert hätten. Namen nannte Karmaus in diesen Fällen nicht. Er habe seinen Kollegen, die fürchteten, bei künftigen Forschungsaufträgen leer auszugehen, Stillschweigen versprochen. Offenbar ist der Druck aus Düsseldorf immens.

NRW-Arbeitsminister Franz Müntefering wies gestern Pressionsvorwürfe als „abwegige Unterstellungen“ zurück. Aus dem Schneider ist Müntefering damit allerdings noch längst nicht. Der Düsseldorfer U-Ausschuß will jetzt den Hamburger Arzt Fabig als Zeugen laden, um dessen schwere Vorwürfe aufzuhellen. Sollte dessen Darstellung zutreffen, dann muß man nach den Worten von Lothar Hegemann, CDU- Obmann im Ausschuß, „damit rechnen, daß der Fall nur die Spitze eines Eisberges ist. Dann haben wir es mit einem Skandal zu tun, der alles Bisherige in den Schatten stellt.“ Walter Jakobs

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