piwik no script img

Beethoven, „ein durchbohrter Drache...“

■ Tourneestreß? Frans Brüggen und das ruhmreiche „Orchester des 18. Jahrhunderts“ gastierten in der Bremer „Glocke“ – nicht sonderlich inspiriert

In einer zeitgenössischen Kritik über die Uraufführung der zweiten Sinfonie in D-Dur von Ludwig van Beethoven steht 1803 zu lesen, der letzte Satz sei „ein grob behauenes Monstrum, ein durchbohrter Drache, der unbeugsam weiterkämpft und nicht sterben will und der, obwohl er sein Blut verliert, vergebens mit dem Schweife zornig um sich schlägt“. Eine derart plastische Sprache entspricht dem Neuartigen dieser Musik: Interpretation heute müßte dieses damalige Empfinden zumindest wieder glaubwürdig machen.

Zu den Orchestern, die in den letzten Jahren im Rahmen der historischen Aufführungspraxis einem solchen Ansatz konsequent gefolgt sind, gehört das 1981 gegründete „Orchester des 18. Jahrhunderts“ unter der Leitung von Frans Brüggen, das jetzt das dritte Meisterkonzert in der Glocke bestritt. Beethovens zweite Sinfonie stellte Brüggen ans Ende des Programmes, sie bedeutete aber zweifelsohne das Zentrum der Programmidee. Auch wenn man dem hervorragenden Orchester bescheinigen muß, daß es den aufsässigen Gestus und den revolutionären Ton richtig traf und mit Engagement entfaltete, so war ich doch einigermaßen erstaunt über Ungenauigkeiten im Detail. Viele Anfänge waren alles andere als homogen; die Artikulation, im Grunde genommen Spezialität dieses Orchesters, war oft gerade noch zu erkennen und eine wirkliche Ausarbeitung von Klangflächen war nicht zu hören. Tourneestreß?

Franz Schuberts 3. Sinfonie, ebenfalls in D-Dur, überzeugte mehr, ist allerdings das unspektakulärere Stück: Brüggens Ansatz half, sich die Situation im Wien am Anfang des 19. Jahrhunderts noch einmal klarzumachen. Das europäische Kunstzentrum im Metternichsystem und im Rossinitaumel, dem selbst Beethoven seinen Tribut zollen mußte und durch den Franz Schubert nicht nur als Sinfoniker keine Aufführungschancen erhielt: Die 1815 entstandene dritte Sinfonie wurde erst 1881 in London uraufgeführt. Sie ist schlicht, liedhaft, enthält im Menuett deftige Wiener Vorstadtatmosphäre und rauscht im Schlußsatz fieberhaft dahin: Das alles wurde recht überzeugend deutlich.

Rossinis Ouvertüre „Die Italienierin in Algier“ wurde hier zwar als Zugabe gespielt, erhielt aber einen zwingenderen Programmcharakter als die einleitende Hebriden-Ouvertüre von Felix Mendelssohn-Bartholdy, deren Wiedergabe nicht sonderlich inspiriert klang. Rossini aber: Seine soghaften Crescendi, seine „ewige Holdseligkeit“ und seine „unverwüstliche Milde“ (Heinrich Heine) erklangen explosiv, genau und mit einem wunderbaren Reichtum an Farben.

Ute Schalz-Laurenze

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen