■ Und wieder hat der rheinische Karneval begonnen: Nase voll, trotzdem doll
Düsseldorf (taz) – Wenn sich an einem gewöhnlichen Novembervormittag in der Landeshauptstadt am Rhein achttausend Menschen singend und trinkend zusammenrotten, kann das nur bedeuten, daß schon wieder die „fünfte Jahreszeit“ ausgebrochen ist – der Karneval. Wir schreiben den 11.11., die Uhr zeigt 11 nach 11. Die Menge vor dem Rathaus ruft, und Hoppeditz erwacht, nach neun trostlosen Monaten.
Wie es der Brauch will, hält der närrische Geist erst einmal eine Bütten- bzw. Fensterrede. Er reimt und knüttelt sich durch den gottlob hinter uns liegenden Wahlkampf und die Niederungen der Lokalpolitik, versäumt auch nicht, vor dem fiesen Stasi-Rumpelstilz Gysi („ach wie gut, daß niemand weiß...“) zu warnen oder einen schmuddeligen Herrenwitz einzuflechten. Die Kapelle liefert periodisch die Tuschs oder streut auch mal ein „Wer soll das bezahlen“ ein. Hin und wieder knallt aus einer Donnerbüchse ein gewaltiger Schuß, direkt unterm Rathausbalkon, wo die neue SPD-Oberbürgermeisterin samt Gefolge ausharrt, bis die Reihe an ihr ist, eine zünftige Antwortrede zu halten. Die liest sie in einem Tonfall ab, in dem Kinder besinnliche Adventsgedichte aufzusagen pflegen. Geistesgegenwärtig plazieren die Musiker hier und da ihr Tä-tää, was die Heiterkeit steigern soll, aber eher die Tristesse der Pflichtübung unterstreicht. Nicht einmal eine zweite Attacke gegen den Gysiwicht, der sich an seinem Feuerchen schon noch die Füße verbrennen werde, vermag das Narrenvolk so recht aufzumuntern. Das gelingt erst dem scheidenden Prinzen Uly I., im Zivilstand Tanzlehrer, als er die bevorstehende Verlobung mit seiner Heidrun ankündigt, die ihn dergestalt bald aufs angenehmste verwöhnen werde. Viel Hallo erntet auch Günter II., der neue Prinz der Saison. Da er recht klein ist, wird der hämische Ruf „Aufstehen!“ laut. „Unser Bonsai-Prinz“, sagt verzückt eine Närrin im Gedränge.
Nachdem der Altherrenriege vom Comitee Düsseldorfer Carneval in der Vergangenheit einige unglückliche Personalentscheidungen unterlaufen waren – ein Prinz erwies sich als bisexuell, eine Venetia wurde unerlaubt schwanger –, ist man jetzt ganz auf Nummer sicher gegangen: Günter II. ist jeckes Urgestein, gestandener Familienvater und als Angestellter eines hygienisch-bakteriologischen Amtes ein Garant für Sauberkeit. Seine Mitregentin Monika ist die Gattin eines stadtbekannten Altkarnevalisten und stand schon mit vier Jahren auf den Tanzmariechenbeinen. Zwei grundsolide Tollitäten also, die das Vertrauen nicht zuletzt der Sponsorenwelt verdienen, zumal da sie sogar ein Training im medienwirksamen Auftreten absolviert haben, damit jeder PR-Empfang zum echten „Event“ wird. Auch in der fünften Jahreszeit wird längst hart gerechnet und clever vermarktet. Die Kölner Konkurrenz schläft nicht.
Weg mit den grauen Alltagssorgen bis zum Aschermittwoch, ruft Hoppeditz. Da kommt Freude auf: Bis zum 1. März ist es schön weit. Aber wer sagt überhaupt, daß dann „alles vorbei“ sein muß? Die Funktionäre des Frohsinns planen längst allen Ernstes einen internationalen Sommerkarneval am Rhein. Da sollen dann leckere Brasilianerinnen im Sambatakt über die Kö tänzeln und für den dringend benötigten Adrenalinschub sorgen. Ein Sponsor ist schon ganz Feuer und Flamme für diese B(r)auchtumswende: die LTU. Ihr Geschäftsführer „Jobsie“ Driessen, selbst Düsseldorfer Ex-Prinz, weiß, wie leicht man Närrinnen und Narren davon überzeugen kann, daß sie reif für die Insel sind.
Einstweilen aber gilt das Motto der Saison: Nase voll – trotzdem doll. Olaf Cless
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