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Momentweise Kunst

■ Das Fernsehspiel "Unschuldsengel", 19.25 Uhr, ZDF

Gelegentlich läßt sich selbst das ZDF hinreißen und serviert am frühen Abend etwas, das gemeinhin als ambitioniert verstanden werden kann: „Unschuldsengel“ aus der Rubrik „Fernsehspiel der Woche“ handelt von einem Jugendlichen so zwischen Pubertät und Führerscheinfähigkeit, dessen Vater unter filmisch nicht näher erläuterten Umständen nach dem Joggen im Stadtpark per Anhalter einen jungen Mann in die City mitnimmt. Kurze Zeit darauf: Der Jungmann ist tot, war Junkie und ging auf den Strich. Die Polizei denkt, daß der unbescholtene Vater den Jungen nach vollbrachter sexueller Erleichterung umgebracht hat.

Es folgen: Untersuchungsgefängnis, Ehefrau im heimischen Gutbürgerambiente (Beruf: Übersetzerin) ratlos. Der gemeinsame Filius – schwer in Grungelook gehüllt – ist noch ratloser, wird in der Schule als Sohn eines Schwulen diffamiert. Sohn geht auf die Suche nach den Mysterien seines Vaters – und direkt in die Stricherszene Hamburgs. Die Szenen, die dann kommen, will Regisseur Rainer Kaufmann als Beitrag zur Aufklärung der Welt verstanden wissen: Sohn rätselt, erkennt, daß Nutten und Stricher auch nur Menschen sind, wenngleich mit schweren Sorgen, findet also neue Freunde und erkennt, daß hinter jedem Bürgermilieu Abgründe lauern. Und so weiter und so fort: Am Ende kommt der Vater aus der Untersuchungshaft, die Mutter ist glücklich, Vater und Sohn fallen sich nach einigen Mißverständnissen doch noch in die Arme.

Die Stricherszene bleibt klinisch sauber, selbst wo gefixt wird, wirkt es so designed, als habe der Regisseur die Ideen aus dem Buch „Der geschmackvolle goldene Schuß“ entliehen. Allzeit ist die Szenerie gut ausgeleuchtet. Unklar nur, was das Ganze soll: Verständnisheischerei für eine kaputte Welt? Kampf wider eine schlimme Moral, wo doch (Merksatz!) „alle sich verstecken und sich keiner sagt, daß er auch nur ein Mensch ist“.

Gewiß, das TV-Spiel ist allemal besser als das meiste, was die privaten Stationen ausstrahlen. Aber muß das ZDF gleich alles überfrachten? Eine Prise Vater-Sohn- Konflikt, ein Hauch Sozialkritik, eine Idee von „Einsam sind wir alle“ – reicht das? Dennoch: Es gibt großartige Momente, beispielsweise wenn Jürgen Vogel (der von den „kleinen Haien“, aber man möchte ihn um ein wenig geringere Präsenz bitten, damit wir seiner nicht überdrüssig werden) den Kopf auf den Schoß des Sohnes legt, vergeblich verliebt, aber zart im Schmerz. Die Sorgen einiger Familien-TV-Zeitschriften, der Film könnte Leute aufschrecken, sind unbegründet: Alle sind lieb, nichts ist wirklich schmutzig. Jan Feddersen

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