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Worum es geht

Die urplötzlich wiedergefundene Solidarität der italienischen Arbeiter und Angestellten ist zwar auch, aber nicht nur die Frucht einer immer stärkeren politischen Aversion der Bürger gegen die Rechtsregierung oder Ergebnis erneuter Lebenskraft der Linken: Sie ist auch ein – allerdings für viele unerwarteter – Nachhall der „Selbstreinigung“, die Italien vor gut zwei Jahren mit den Korruptionsuntersuchungen und der Aushebelung der alten Garden begonnen hatte und die offenbar erst jetzt auf so richtig politischem Niveau ankommt.

Denn Berlusconi hat mit dem, was nun so deutlich Stein des Anstoßes ist – Rentenreform zu Lasten der Schwächsten und Beschneidung von Arbeiterrechten, Zerstörung des öffentlich- rechtlichen Rundfunks und freie Hand den Spekulanten und Industriehaien – ja nur sozusagen ins Schaufenster gestellt, was nahezu alle vorangegangenen Regierungen seit mehr als zwanzig Jahren mehr oder weniger verdeckt praktiziert hatten. Bezahlt wurden damit in aller Regel jene Löcher, die die Mißwirtschaft und die Selbstbedienung der Regierenden gerissen hatten – und so sollte es nun offenbar weitergehen.

Unter dem Strich sollten die ärmsten der Rentner – mit unter siebenhundert Mark Monatseinkommen Realeinbußen von mehr als sechs Prozent erleiden, sollten Menschen, die nach geltendem Recht nach 35 Arbeitsjahren in Pension gehen durften, nun mitunter noch weitere zehn oder zwölf Jahre warten, bis sie ihre erste Auszahlung bekommen – oder aber pro Jahr, das auf das 65. Lebenjahr fehlt, drei Prozent abgezwakt bekommen, also im Regelfall mehr als ein Drittel des Zustehenden.

Gleichzeitig machte Berlusconi mit der Wiederholung des vor zehn Jahren schon von seinem Sepzi Bettino Craxi verwendeten Instrument des „Condono edilizio“, der Bausünder-Amnestie, Baulöwen und Umweltruinierern das Leben leicht – sie müssen statt der vorgesehenen Gefängnis- oder hohen Geldstrafen gerade mal zwischen 800 und 4.000 Mark abliefern und sind dann „saniert“ – und gestattet den Unternehmern auch noch, Arbeitskräfte wie Leibeigene zu behandeln und zu feuern, wann sie Lust und Laune haben.

All das hatte Italien bereits lange ertragen. Doch nun, und das hat Berlusconi offenbar nicht bedacht, geht es für immer mehr Menschen nicht nur ans Eingemachte, sondern ans Überleben.

Mehr als 15 Prozent (offizielle Zahlen) oder gar 25 Prozent (Schätzungen der Caritas) der Italiener leben bereits am Rande des Existenzminimums und darunter – gerade bei ihnen aber hatte Silvio Berlusconi zunächst besonders viele Stimmen gefangen, weil er sich mit dem Image des Sanierungskünstlers ausgestattet und eine Million Arbeitsplätze versprochen hatte. Daß dies alles nicht stimmt, ist mittlerweile auch dem Großteil seiner eigenen Anhänger klargeworden.

Die Italiener sind sich offenbar klar geworden, daß sie keine „Zweite Republik“ bekommen, sondern nur Teufel getauscht haben.

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