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Die Kunst des harten Finish

Fliegerhelden im Kaugummi-Format: Roy Lichtenstein, der ein wenig in Vergessenheit geratene Pop-Artist, wird retrospektiv im Münchener Haus der Kunst gewürdigt  ■ Von Gabriele Hoffmann

„Mauern haben keine Schuld“, antwortete Roy Lichtenstein gelassen auf die Frage, wie ihm zumute sei, wenn er seinem Werk im Münchener Haus der Kunst, am Ort der Ausstellung „Entartete Kunst“ von 1937, begegne. Man kann dem als Sohn jüdischer deutschstämmiger Eltern 1923 in New York geborenen Pop-art- Künstler nur zustimmen, wenn er mit der Präsentation seiner ersten in Europa gezeigten Werkübersicht zufrieden ist. Die 120 Werke umfassende Retrospektive zu seinem 70sten Geburtstag wurde vom Guggenheim Museum nach Zwischenstationen in Los Angeles und Montreal übernommen und um wichtige Leihgaben aus europäischem Privatbesitz ergänzt. Anschließend geht sie in die Hamburger Deichtorhallen.

Zum Prolog der Ausstellung, der die Wurzeln von Lichtensteins Pop-art in der eigenartigen Verbindung von amerikanischer Historienmalerei und europäischer Avantgarde aufdeckt, gehört das Bild „Washington Crossing the Delaware II“ (ca. 1951). Erst 1957 läßt sich Lichtenstein mit dem abstrakten Expressionismus ein, spürt aber schon bald, daß er seinem bewunderten Vorbild de Kooning an Intuition und Emotionalität unterlegen ist. Ein Ereignis wie aus einer Künstlerlegende bringt die Erlösung: Lichtenstein kopiert für seine Kinder Comics von Kaugummiverpackungen. Er ist verblüfft über die künstlerische Potenz, die in der Vergrößerung einzelner herausgelöster Motive steckt. So entsteht „Look Mickey“, eine zeichnerisch unverfälschte Episode in plakativem Blau- Gelb-Rot, der andere ins Bild übertragene Comic-strip-Helden wie „Popeye“ und „Wimpy“ folgen.

An drei thematischen Schwerpunkten im größten Saal der Münchener Ausstellung kann man die künstlerische Tragweite der Blow- Ups aus trivialem Reproduktionsmaterial überprüfen. Da sind einmal Lichtenbergs Kommentare zu kriegsverherrlichenden Comics aus der Zeit des eskalierenden Vietnamkriegs. Die Ausschnitte sind so gewählt, die Figuren und Sprechblasen so arrangiert, daß mit den feindlichen Objekten auch die Klischees von Heldentum und Opferbereitschaft zu zerplatzen scheinen. „Blam!“ – Stakkato in Gelb über dem Volltreffer, mit dem der brave US-Pilot das gegnerische Flugzeug vernichtet.

Werbematerial hatte den versierten Gebrauchsgrafiker und technischen Zeichner 1961 auf die Idee gebracht, das für Reproduktionen benutzte Benday-Punkteraster für seine Leinwandbilder zu benutzen. Das gibt ihm die Möglichkeit, die Gegenständlichkeit der Motive mit der Abstraktion des Rasters zu relativieren. Die Flachheit kolportierter Lebenswirklichkeit in den populären Vorbildern bekommt durch die malerische Umsetzung in das verflachende Raster eine ungegenständliche Wirklichkeit. Lichtenstein wollte Bilder malen, „die so verachtenswert waren, daß sie keiner aufhängen würde“. Ob „Kühlschrank“, „Spray“ oder „Treteimer mit Bein“, die gemalten Reproduktionen der frühen 60er Jahre funktionieren illusionistisch wie ihre Vorlagen. Der Comic- strip „Run for Love“ liefert das Material für eine Serie, in der blondsträhnige „Girls“ die Hauptrollen spielen. Es genügt, den gefühlvollsten Ausschnitt zu finden, dem Motiv harte schwarze Konturen zu geben – und „Hopeless“ wird endgültig.

Das Punkteraster, die Lichtensteinsche Aneignungsmethode fremden Bildmaterials, bekommt 1965 im isolierten „brushstroke“ einen Gegenspieler. Individueller Mal-Gestus versus mechanische Flächenmarkierung. Die von Farbe triefenden geschwungenen Pinselstriche avancieren zu abstrakten Gegenstandssymbolen. „Gelber und grüner Pinselstrich“ benötigt eine viereinhalb Meter breite Leinwand für seine gefühlvolle Umarmung.

Den dritten Schwerpunkt in der Lichtenstein-Schau von Christoph Vitali bilden humorige Annäherungen an das amerikanische Art deco der 20er und 30er Jahre. Dekorative Durchmischung von Volumen und Flächen, von Techniksymbolen und Design in Hard-edge- Malerei mit Öl und Magma. In der Broschüre einer Glas- und Spiegelhandlung entdeckt Lichtenstein 1969 „Spiegelsymbole in Airbrush-Technik, die nichts spiegelten“. Die Reproduktionen sind der Auslöser für „Reflections“, die schon mit der runden oder ovalen Form der Leinwände Illusion erzeugen. Es reizt ihn, „sehr konkrete Symbole für ephemere, kaum greifbare Dinge“ wie das Phänomen der Spiegelung zu schaffen. Auch die meterlangen niedrigen „Gesims“-Bilder mit klassizistischem Dekor spekulieren auf den Trompe-l'÷il-Effekt.

Neben den Druckerzeugnissen der Trivialkultur und Werbung durchstöbert Lichtenstein auch die Kunstgeschichte. Nirgendwo gelingt ihm das so überzeugend wie in den Paraphrasen zu Werken von Picasso, Mondrian, Léger, Matisse und Magritte. Die Umsetzung von Carlo Carras Bild „Der rote Reiter“ ist eine gelungene Parodie auf die futuristische Geschwindigkeitseuphorie. In die 80er Jahre passend unterwirft Lichtenstein später seine eigenen Werke der „Reflektion“. Diagonale Rasterstreifen und Pinselstriche zerschneiden die Bildzusammenhänge mit Motiven aus früheren Serien. „Pinselstriche“ proben den Aufstand gegen die Pop-art. Das führt 1988 zu so merkwürdigen Zwittern wie dem „Laokoon“ in der Manier der „neuen Wilden“.

Das letzte Kapitel bilden die „Interiors“, eine Rückbesinnung auf die Anfänge seiner anti-malerischen Malerei. Reproduktionen aus den Gelben Seiten des New Yorker Telefonbuchs sind jetzt der Auslöser für riesenformatige Leinwandbilder: Werbebilder der öden Wohnkultur des Durchschnittsamerikaners, zu der das Bonsaibäumchen ebenso gehört wie ein Lichtenstein-Druck. Man möchte auf Distanz gehen zu der breitwandigen Langweiligkeit, wird aber durch Strategien der Verschiebung wie dem Bild eines Hotelzimmers, das die Wand eines Interieurs illusionistisch öffnet, daran gehindert.

Skulpturen, die Motive aus den gemalten Serien reproduzieren und parodieren, gehören zum Vergnüglichsten dieser Ausstellung: gestapelte Tassen in glasierter Keramik mit Punktedekor, „Spiegel“ und „Pinselstriche“ in bemalter und platinierter Bronze. Das harte Finish der spiegelnden Emailoberfläche treibt den Illusionismus auf die Spitze: Ein bronzener „Pinselstrich-Kopf“, platt wie ein Gemälde: zerfranstes rotes Punkteraster, vier Farbwischer für Augen, Nase, Mund – das ist Lichtensteins Pop-art at its best.

Bis 9.1. 1995 im Haus der Kunst. Der Katalog kostet 69 DM.

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