piwik no script img

Operation Tiefschlag des Innenministers Pasqua

■ Fatale Folgen der neuen Anti-Immigranten-Gesetze in Frankreich / Ständige Razzien / Wer afrikanisch oder maghrebinisch aussieht, wird dauernd kontrolliert

Paris (taz) – Dealer, Terroristen, Islamisten – Frankreichs Innenminister Charles Pasqua hat wirklich viele Feinde. Für die schlimmsten von allen hält er die illegalen Einwanderer, die sich über ganz Europa ausbreiten. Pasqua hat eine ganze Serie von Gesetzen geschaffen, die seinen Namen tragen und die illegale Einwanderung eindämmen sollen: Er hat Nationalisierungen erschwert, Ausweisungen erleichtert, hermetisch abgeriegelte „Sicherheitszonen“ eingerichtet und gemischt-nationale Ehen beinahe unmöglich gemacht. Weil das alles nicht reicht, läßt er seine Polizei soviele Personenkontrollen wie irgend möglich machen.

Im August dieses Jahres – in Algerien waren gerade fünf Franzosen ermordet worden – holten Pasquas Uniformierte zur „Operation Faustschlag“ aus. Ganz Paris glich in jenen heißen Sommertagen einer Mausefalle, in die bevorzugt dunkelhäutige Personen gerieten. Systematisch holte die Polizei diese verdächtigen Menschen aus der Pariser Metro oder fing sie auf offener Straße ab, um ihre Personalien zu kontrollieren. In ChÛtelet, Stalingrad und anderen „heißen“ Metro-Stationen liefen die Passanten zuhauf in die Arme der zahlreich an den Ausgängen postierten Beamten. Wer nicht alle nötigen Papiere vorweisen konnte, riskierte die Blitzausweisung binnen weniger Stunden.

Sadia A. (31) ist in Frankreich geboren, aufgewachsen, zu Schule und Universität gegangen und zur Anhängerin der Republik herangewachsen. Ihr Paß ist so französisch wie ihre Kultur – ihr Name und ihre Hautfarbe verraten, daß ihre Eltern aus Algerien stammen. Am 13. August, einem Samstag, traf Sadia beim Spaziergang mit ihrer Schwester auf eine Personenkontrolle an der Pariser Porte de Clignancourt: Zwei PolizistInnen und ein Mann – „maghrebinischen Typs“, wie Sada sich erinnert. „Schon wieder“, sagte sie verärgert zu ihrer Schwester, „angesichts der islamistischen Drohung sind es immer dieselben, die kontrolliert werden: Maghrebiner und Afrikaner. Pasqua macht offenbar Wahlkampf. Vor 50 Jahren hat es mit den Judenkontrollen auch so begonnen.“

Das Gespräch unter Schwestern mißfiel den kontrollierenden PolizistInnen, von denen einer Sadia aufforderte, den Mund zu halten. „Wir befinden uns in einer Demokratie“, gab sie zurück und: „Ich mache gerade Gebrauch von meinem Recht auf freie Meinungsäußerung.“ Für die BeamtInnen war das zuviel: Sadia wurde durchsucht, in Handschellen auf die Polizeiwache gebracht, in eine Zelle gesperrt, über ihre Meinung zu den Islamisten befragt und erst sechs Stunden später auf freien Fuß gesetzt. Die Tatsache, daß ihre Schwester die Antirassismus-Organisation MRAP verständigte, brachte die PolizistInnen zusätzlich gegen Sadia auf.

Drei Monate später steht die 31jährige heute wegen „Beleidigung eines Beamten“ vor der 24. Strafkammer in Paris. Das neue Strafgesetzbuch sieht dafür eine Höchststrafe von sechs Monaten Gefängnis und 50.000 Francs (ca. 15.000 Mark) vor. Zwar wird es bei Sadia nach Ansicht ihres Anwalts Jean-Jacques de Felice nicht zur Höchststrafe kommen, aber die Tatsache, daß eine Meinungsäußerung auf offener Straße überhaupt zu einem Gerichtsverfahren führen kann, zeige schon, daß „extreme Wachsamkeit“ angebracht ist, sagt de Felice.

Innenminister Pasqua hat seit der „Operation Faustschlag“ nicht nachgelassen. Die Personenkontrollen gehen weiter – dazu kommen spektakuläre nächtliche Razzien und ständig neue Ausweisungen von „Islamisten“, von denen einige vor Gericht bereits ihre „Unschuld“ nachweisen konnten. Zum Leidwesen seines Kollegen im Außenministerium reist Pasqua bis in Hauptstädte der arabischen Welt, um Unterstützung für den Kampf gegen den Islamismus zu finden. Kein Minister ist so häufig im Fernsehen wie Pasqua. Und keiner hat die Ehre so vieler Feinde. Dorothea Hahn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen