piwik no script img

Wie man Nazis filmen darf

■ Die 18. Duisburger Filmwoche mit allerhand Überraschungen

Spätestens seit der Kontroverse um Winfried Bonengels „Beruf Neonazi“ auf der letzten Duisburger Filmwoche zeichnet sich eine erstaunliche Renaissance des Dokumentarfilms ab. Sogar Richter beschäftigen sich neuerdings mit ästhetischen Problemen dieses Genres: „Kameraeinstellungen aus der Froschperspektive führen ... zu einer Glorifizierung des ,Hauptdarstellers‘“, heißt es in der Urteilsbegründung des Landgerichtes Berlin, nach der „Beruf Neonazi“ nicht mehr öffentlich gezeigt werden darf. Daß die Wirkungsweise eines Filmes unabhängig von der subjektiven Bewertung des einzelnen Zuschauers „im Namen des Volkes“ als objektives Faktum festgestellt wird, ist eine nicht uninteressante Justizpraxis.

Die zum 18. Mal veranstaltete „Duisburger Filmwoche“, die in den vergangenen Jahren zum Austragungsort einer heftigen Debatte um die Orthodoxie des Dokumentarfilms wurde, setzte auch in diesem Jahr interessante Akzente. Der Weg zum Film führte unter anderem über das Wort. Unter dem kalauerhaften Motto „99 Jahre Film“ referierten vier Film- und Medienkritiker über selbstgewählte Themen.

Mit der gewohnten Rasanz präsentierte Friedrich Kittler leider nur die Grundthesen seiner in „Grammophon Film Typewriter“ ausgeführten Medientechnik-Geschichte: „Medien zu verstehen, bleibt – trotz ,Understanding Media‘ – eine Unmöglichkeit, weil gerade umgekehrt die jeweils herrschenden Nachrichtentechniken alles Verstehen fernsteuern und seine Illusion hervorrufen.“ Aus diesem Grund sei „der Inhalt eines technischen Mediums lediglich ein weiteres technisches Medium“. Vor der Kunst gehe man „nicht mehr in die Knie“; Kunst und auch Film würden nur noch von Eliten goutiert. Medien haben die Rolle der Kunst substituiert.

Ohne Quellenangabe kam der Filmemacher Hartmut Bitomski in seinem pointenreichen Vortrag (un?)freiwillig auf die „Kulturindustrie“ zurück: „Kunst und Medien sind einander entgegengesetzte Pole.“ Die Berliner Filmwissenschaftlerin Oksana Bulgakowa wiederum zeigte anhand von Dsiga Wertovs „Donbass-Symphonie“ (1930), wie die Kunst der filmischen Montage die Ästhetik des sozialistischen Realismus mit dessen eigenen Mitteln unterlief. Die von der ideologischen Knechtschaft der Kirche befreite Arbeiterschaft stürzt sich in diesem Film in einen hysterischen Arbeitsrausch. Geräusche und Montage übersteigern dessen Intensität so sehr, daß der Film den Anschein erweckt, die Arbeiter seien Teile einer Maschine, die immer schneller rotiert, bis sie sich selbst zerstört.

Im Kontrast dazu diskutierte der Filmwissenschaftler Harry Tomicek aus Wien anhand von Robert Gardners „Forest of Bliss“ (1985), wie der kommentarlose Dokumentarfilm sein Thema allein durch die ästhetische Strukturierung der Beobachtung findet. So wie „Donbass-Symphonie“ die Rückkopplung zwischen Mensch und Maschine macht „Forest of Bliss“ den hinduistischen Kreislauf zwischen Leben und Tod in der indischen Stadt Benares sichtbar.

Diese beiden Filme spannten einen künstlerischen Horizont auf, dessen Qualität die Auswahl des diesjährigen Programms mitbeeinflußt hat. Stefan Sachs, der für „Und sahen was zu machen war...“ mit dem Preis der deutschen Filmkritik ausgezeichnet wurde, beobachtete minuziös die Rekonstruktion des Kaiser-Wilhelm-Denkmals am Deutschen Eck zu Koblenz. Das größte Reiterstandbild der Welt, Symbol der deutschen Einheit von 1871, wurde 1945 von einem amerikanischen Grenadier abgeschossen. Durch (film-)historische Exkurse und eine Montage, die dem Modellieren der Bronzestatue zuwiderlief, wiederholt Sachs diesen Abschuß mit rein filmischen Mitteln.

Thomas Imbachs „Well Done“ ist die digitale Version zu Wertovs mechanischem Mensch-Maschine- Ballett. Monatelang filmte der Schweizer Mitarbeiter eines Züricher Bankhauses an Telefonen und Terminals. Die Montage des Films zerreißt ihre Handlungen in sekundenlange Arbeitsschritte, die wie Verlängerungen jener seriellen Arbeitstakte der Computer anmuten, die sie bedienen. Einen ähnlichen Effekt der Serialisierung der Menschen durch Massenmedien beobachtete Andreas Rogenhagen. „The Final Kick“ kollagiert Zuschauerreaktionen beim Betrachten des diesjährigen Fußball- Endspiels aus 40 Ländern. Egal, ob sie an Gott, Allah, Bhudda oder Roberto Baggio glauben: Hunderte von Millionen Menschen zittern vor dem Fernseher bei ein und demselben Doppelpaß. Angehörige der unterschiedlichsten Kulturen benehmen sich vor dem Fernseher wie ferngesteuert.

Am anderen Ende der Qualitätsskala demonstrierte Andreas Dresen mit „Kuckuckskinder“ mustergültig, wie man die Struktur des Fernsehens nicht darstellt, sondern ihr auf dem Leim geht. Über Monate quartierte Dresen sich in einem Ostberliner Kinderheim ein. Vor seiner Kamera wird die 14jährige Fanny zum Starlet, das immer reißerische Geschichten erzählt. Kaum hat sie alle Geschichten erzählt, neigt sich der Film dem Ende zu, das Fanny vorweggenommen hat: Sie verläßt das Heim. Wahrscheinlich sucht sie einen neuen Dokumentaristen.

Manfred Riepe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen