Rosa-Grün?

■ betr.: „Wo sind die DDR-Gorba tschows?“, taz vom 7. 11. 94

Ich habe im Oktober 1983 auf einem Landesdelegiertenkongreß der schleswig-holsteinischen Grünen am Ende einer längeren Debatte über die US-Intervention in Grenada darauf hingewiesen, daß es nicht nur Tausende Kilometer entfernt, sondern auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, nämlich der DDR, gravierende Menschenrechtsverletzungen gebe, die die Grünen mindestens ebenso ausgiebig beschäftigen sollten. Ich bin damals ausgelacht und von einigen auch als Revanchist beschimpft worden. Das Interesse an den Zuständen in der DDR war auch in den folgenden Jahren gering; mit den umfangreichen Ausarbeitungen einiger weniger Mitglieder der hiesigen Grünen, die sich in einer Landesarbeitsgemeinschaft „Deutschlandpolitik“ zusammengefunden hatten, mochte sich weder der Landesvorstand noch irgendein anderes Parteigremium beschäftigen; die deutsche Frage war für die Grünen gelöst. Zufällig fand am 11./12. November 1989 ein Landesparteitag statt; einzige Reaktion auf die Öffnung der Mauer war eine – mit großer Mehrheit angenommene – Resolution, wonach die Grünen allen „nationalistischen Bestrebungen etwas entgegensetzen“ würden (was das sein sollte, blieb ungeklärt). Und auch das Bekanntwerden der Tatsache, daß der maßgebliche Architekt der Deutschlandpolitik der Grünen, der Bundestagsabgeordnete Dirk Schneider, ein bezahlter Stasi-Spitzel war, hat keine allzu heftigen Reaktionen bei den (West-)Grünen ausgelöst.

All dies mag angesichts der unerträglichen Heuchelei der offiziellen BRD-Deutschlandpolitik und der ja tatsächlich vorhandenen Revanchismus-Gelüste der BRD- Rechten bis weit in die CDU hinein verständlich gewesen sein (Entschuldbar ist es nicht!). Nur: Woher stammen angesichts dieses ein Jahrzehnt währenden Desinteresses der großen Mehrheit der Grünen an den Zuständen in der DDR nun plötzlich Erkenntnisse wie die Ludger Volmers, in der DDR habe es „überall kleine Gorbatschows“ gegeben? [...]

Es ist fatal, wenn Bündnis 90/ Die Grünen auf eine Öffnung gegenüber dem Wählerpotential der ehemaligen SED-Mitglieder (und damit mittelfristig auch gegenüber der PDS) eingeschworen werden sollen. Ein solches Vorgehen gefährdet die politische Reputation, die die Grünen durch den fairen Vereinigungsprozeß mit der DDR-Bürgerrechtsbewegung gerade auch im Westteil der Republik erlangt haben. Und auch wahlarithmetisch wäre dies völlig unsinnig: Nur wenn Bündnis 90/ Die Grünen sich das linksliberale Potential, das von der FDP nicht mehr bedient wird, erschließen, kann die schwarz-gelbe Bundesregierung abgelöst werden. Warum also sollten wir uns ausgerechnet gegenüber der PDS öffnen, deren Mitglieder und WählerInnen wie die keiner anderen Partei ein etatistisches und autoritäres Weltbild haben? Michael Gaertner, Kiel