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Er fällt, er fällt nicht, er fällt, er fällt nicht, er...

■ Das Schicksal von Irlands Premierminister Albert Reynolds hängt an einem Dokument / Findet er den Schrieb, kann ein Bauernopfer die Koalition retten

Dublin (taz) – Eine solche Sitzung hatte das irische Parlament noch nicht erlebt. Gestern früh waren die Abgeordneten zusammengekommen, um die Regierung zu stürzen. Weil das Zerwürfnis zwischen der Partei des Premierministers Albert Reynolds, Fianna Fáil, und ihren Koalitionspartnern von der Labour Party unüberbrückbar schien, hatte die Opposition einen Mißtrauensantrag gestellt – in dem Glauben, Labour hinter sich zu haben. Doch dann tauchten neue Informationen auf, Reynolds verschob den Sitzungsbeginn dreimal. Bei Redaktionsschluß war noch nichts entschieden. Die „explosiven Informationen“ betreffen offenbar den gerade erst ernannten Präsidenten des High Court, Harry Whelehan.

An ihm, dem erzkonservativen ehemaligen Generalstaatsanwalt, hatte sich der Streit zwischen den Koalitionspartnern entzündet. Nach zahlreichen umstrittenen Entscheidungen hatte er zuletzt den nordirischen Auslieferungsantrag für den wegen Kindesmißbrauchs angeklagten katholischen Pfarrer Brendan Smyth sieben Monate lang verschleppt. Er habe von nichts gewußt, verteidigte sich Whelehan, seine Untergebenen hätten den Fall bearbeitet.

Reynolds stand in der Schuld Whelehans, weil der ihm einmal aus der Klemme geholfen hatte. So ließ sich der Premierminister nicht lumpen und ernannte seinen Freund am vergangenen Freitag zum High-Court-Präsidenten. Er hatte kalkuliert, daß die Labour Party dazu schweigen würde, um keine Neuwahlen zu riskieren. Die Rechnung ging nicht auf.

Am Dienstag vormittag wurde Whelehan in seinem neuen Amt vereidigt. Am Nachmittag stellte sich Reynolds vor das Parlament und lieferte einen, wie er sagte, „umfassenden und ehrlichen Bericht“ über die Affaire. Für die verzögerte Auslieferung seien Verfahrensfehler verantwortlich, die Eignung des neuen High-Court- Präsidenten stehe jedoch außer Zweifel. Das sah die Labour Party anders – die Krise schien perfekt.

Doch praktischerweise kam in der Nacht zu gestern der Hinweis auf ein Dokument im Büro des Generalstaatsanwalts, aus dem hervorgehen soll, daß Whelehan gelogen hat: Angeblich soll es sich um einen Brief des irischen Kardinals Cahal Daly an Whelehan handeln, der beweist, daß der Staatsanwalt von Anfang an über den Auslieferungsantrag Bescheid wußte, der katholischen Kirche jedoch Ärger ersparen wollte. Bei Redaktionsschluß war Reynolds noch am Suchen; findet er den Brief, so wird Whelehan wohl als Gerichtspräsident mit der kürzesten Amtszeit aller Zeiten in die irische Geschichte eingehen – und die Koalition ist gerettet. Ralf Sotscheck

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