: Kultur für den Hamburger Fußball
■ Walter Dzur, Mittelläufer in St. Paulis 40er Jahre-Wunderelf wird heute 75 Von Rainer Schäfer
Für den FC St. Pauli könnte es derzeit nicht besser laufen. Unter Trainer Uli Maslo, der zuweilen wie ein Kommissar aus einer älteren „Tatort“-Folge wirkt, gelangen zuletzt 14:4-Punkte in Serie. Rieseneuphorie begleitet den Höhenflug – Tenor: die beste Pauli-Mannschaft seit Jahren, wenn nicht aller Zeiten. Eine Einschätzung, die nicht wenige für übertrieben halten: Die „Wunderelf“ der Nachkriegszeit habe den bis heute brillantesten Fußball am Millerntor zelebriert. Daran zweifelt der damalige Mittelläufer, Walter Dzur, der heute 75 Jahre alt wird, nicht: „Erst wir haben Kultur in den Hamburger Fußball gebracht und waren technisch viel besser als heutige Teams.“
Mit 16 debütierte Dzur beim Dresdner SC, mit dem er zweimal Meister wurde. Die Trainer-Legende Sepp Herberger lud den 20jährigen 1940 ins Nationalteam. „Er war ein enormer Kämpfer“, urteilt Mannschaftskollege Heinz Hempel, „kopfballstark und pfeilschnell.“ Trotzdem reichte es nur zu drei Länderspielen: Oft eingeladen und selten berücksichtigt, zerstritten sich der impulsive Dzur und Herberger alsbald.
Ende 1945 formierte sich auf St. Pauli die „Wunderelf“. Stützen des bunt zusammengewürfelten Teams waren die Dresdner Hempel, Machate, Schaffer, Köpping und eben Walter Dzur. „Wo sollten wir auch hin, Dresden war ein Trümmerhaufen“, so Verteidiger Hempel, „Fußball unsere Rettung“. Der erste Nachkriegs-Coach, Hans Sauerwein, rief zweimal wöchentlich zum Training. Entlohnt wurden die Spieler anfänglich im „Seemannshaus“ oder der „Schlachterbörse“ mit der obligatorischen warmen Mahlzeit nach dem Spiel. Erst ab 1946 waren zusätzlich Saläre bis 400 Mark üblich. „Verglichen mit heute haben wir für 'ne Salzgurke gespielt“, poltert Dzur. Geldgeber waren der gestrenge Präsident Wilhelm Koch und der Geflügelhändler Richard Sump.
Eigentliche Macher aber war Nationalspieler Karl Miller, der neben Wohnungen auch für Kraftnahrung aus der elterlichen Schlachterei sorgte. „Der hat die ganze Mannschaft durchgefüttert. Zwei Pfund Fleisch und Wurst pro Woche“, erinnert sich Hempel, „das war unvorstellbar.“ Kein Wunder, daß bei dieser Verköstigung St. Pauli 1948 in der Zwischenrunde zur Deutschen Meisterschaft dem späteren Titelträger Nürnberg erst nach Verlängerung mit 2:3 unterlag.
Drei Jahre später – am 1.April 1951 – gelang mit dem 5:0 gegen den viele Jahre übermächtigen Rivalen HSV der große Wurf. Beim Lokalderby kam es am mit über 35.000 Fans völlig überfüllten Millerntor zu Ausschreitungen. Nachdem ein Zuschauer am dichtgedrängten Spielfeldrand Heinz Hempel den Ball in den Lauf gepaßt und dieser sicher vollendet hatte, kannte der Jubel keine Grenzen. Der Unparteiische wollte den Treffer freilich nicht anerkennen. Der erboste Pauli-Anhang stürmte daraufhin das Feld und gab erst nach dem 5:0-Endstand wieder Ruhe.
Durchschnittlich 15.000 Zuschauer kamen damals zu den Spielen. „Die Stimmung war genauso gut wie heute“, versichert Dzur. Die Sitzplatzpreise lagen bei 7 bis 25 Mark – viel Geld in den Wiederaufbaujahren. Die Braun-Weißen entschädigten ihre Fans jedoch mit unbeschwertem Offensivfußball.
Anfang der 50er brach die „Wunderelf“ auseinander, Walter Dzur beendete 1954 seine Karriere. Ein Abschiedsspiel war ihm nicht vergönnt. „Ich wurde mal zum Geburtstag eingeladen und mußte warten. Da hab ich nur gesagt ,Behaltet Eure Blumen' und bin abgehauen.“ Typisch Dzur, den Hempel als Lebemann und Eigenbrötler beschreibt: „Der ging immer eigene Wege. Nach den Spielen hieß es nur ,Tschüß' und Walter war weg.“
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