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Küstennebelromantik mit Matjesfilet

■ Die 52. Internationale Boots-Ausstellung lockt mit 334 Ausstellern aus 17 Ländern und vielen vielen Booten / Dennoch: Es ist nicht leicht, eine Boote-Freak zu sein, und kostet vor allem viel Geld

Man gibt sich maritim, in der Halle 26 c der Internationalen Boots-Ausstellung. Mit Stellwänden aus Preßpappe und Plastikgartenstühlen ist eine Fischerkneipe nachgestellt worden, in der knapp hundert Gäste Fischsuppe aus der Terrine löffeln, während am Stand gegenüber der Shanty-Chor Berlin e.V. das Gorch-Fock-Lied zum besten gibt. Küstennebelromantik, die keinen vom Hocker reißt.

Nicht mal die zwei, alle Vorurteile gegen Ostfriesen verlebendigenden Deichgrafen aus der Gegend, wo sie seinerzeit Bonifatius plattgemacht haben, schunkeln mit. „Jo, jo“, nickt der jüngere der beiden in sein Matjesfilet zu zwölfachtzig, als die Shanty-Mannschaft das Schifferklavier zum Anfangsakkord des nächsten Matrosenliedes aufpumpt.

Offensichtlich sind sie nicht die einzigen Friesen. Viele der Besucher haben Seefahrerbärte, snacken wie Hein Blöd oder haben Käpt'n-Blaubär-Mützen auf. Die übrigen BesucherInnen strahlen überwiegend den Wohlstand von Menschen aus, denen eine dick gefüllte Brieftasche die Herzgegend wärmt.

Schließlich ist es nicht gerade billig, ein Boote-Freak zu sein, auch wenn unter den auf der Internationalen Boots-Ausstellung gezeigten Exponaten auch erschwingliche Ruder- und Paddelboote zu sehen sind. Segel- und Motorjachten, Segel- und Motorboote, Schlauchboote – die gibt es zwar in nahezu allen Preisklassen zwischen tausend und achthundertfünfzigtausend Mark, doch alles was über ein Faltboot hinausgeht, verlangt nach einer angemessenen Liegestelle. Und die sind für Normalverdiener beinahe unerschwinglich.

So kostet schon ein Liegeplätzchen von 7 mal 2,5 Meter – gerade mal genug für eine winzige Nuckelpinne – an der Ostseeküste, etwa in Ueckermünde, schon 946 Mark im Jahr. Wenn der Wassersportfreund seinem Hobby beispielsweise am Wannsee nachgehen will, kann er für einen gleichgroßen Liegeplatz bereits dreimal soviel hinblättern.

Dennoch werden die Gewässer in und um Berlin derzeit von rund 100.000 Süßwassermatrosen genutzt. Und die kommen fast alle zur Internationalen Boots-Ausstellung unter dem Funkturm. Denn das faszinierende Revier, das seit dem Wegfall der Grenzen ungeahnte Möglichkeiten zum Wasserwandern bietet, fördert bei vielen den Wunsch, ein Boot zu besitzen. Denn von Berlin aus erschließt sich jetzt ein riesiges, zusammenhängendes Binnenrevier.

Die Veranstalter rechnen bis zum Ende der Ausstellung mit etwa 80.000 BesucherInnen. Die neuntägige Internationale Boots- Ausstellung Berlin zeigt nicht nur rund 800 Sportboote aller Größen und Klassen, sie präsentiert nicht nur, was es Neues gibt und was im Trend liegt, sie bietet für alle Wassersportfans auch ein Rahmenprogramm mit einer Fülle von Aktivitäten.

Wer sich an den Exponaten der 334 Aussteller aus 17 Ländern sattgesehen hat, kann beim Unterhaltungsprogramm für die ganze Familie abhängen oder am Stand der Deutschen Lebensrettungs-Gesellschaft Crashtest Dummies aufpustend die Mund-zu-Mund-Beatmung trainieren oder gar die Ausstellung „Vom Wikingerschiff bis zum Klipper“ angucken, die einen Einblick in die Geschichte der Segelschiffahrt vermitteln will.

In Halle 17 und 26 c sind Wasserbecken aufgebaut worden, in denen Kampftaucher vorführen, wie sie verlorengegangene Gebisse und andere Teile aus dem Naß fischen. Am 5,20 Meter hohen Tauchturm verlost eine Uhrenfabrik Billigexemlare ihres Jugendchronometers, der offenbar nicht anderweitig an den Mann bzw. die Frau zu bringen ist. Natürlich fehlt auch die Bundesmarine nicht, die mit dem Marinechor „Blaue Jungs“ aus Eckernförde in Halle 17 präsent ist und ganz nebenbei in der Nachbarhalle ein Rekrutierungsbüro für die Flüssigmannschaft unterhält, um die vom maritimen Pomp angetörnten Kids zu shanghaien.

Neben all den Prunk- und Luxusjachten, die bei den Normalverbrauchern, die durch die Hallen mäandern, Gedanken an waghalsige Geldbeschaffungsaktionen auslösen dürften, stellt das „Wassersportzentrum Müggelspree“ unter dem Motto „Leistung im Einklang mit der Natur“ Elektroboote aus. Die Deltic 21 und die Classic 31 – aus England importierte Boote – schwimmen fast geräuschlos, schlagen keine Wellen und verursachen keine Emissionen. Da diese Boote große Wirtschaftlichkeit bei zuverlässiger Leistung garantieren und darüber hinaus einfach zu bedienen sind, bieten sie sich insbesondere für Binnenreviere an.

Thomas Viessmann, 39jähriger Geschäftsführer der „Müggelspree“, spricht nicht ohne Stolz von der Entwicklung zum leistungsfähigen naturverbundenen Elektroboot: „Unser Markt hat sich durch langjährige Erfahrungen im Wochenendcharter in England bestimmt. Wir brauchen Boote, die leicht zu handhaben und außerdem sehr robust und leistungsstark sind. Diesen hohen Anspruch können wir jetzt mit der Classic und der Deltic erfüllen.“

Während der Geschäftsführer den von Umweltschützern erhofften Sprung in die Solarenergie für den Bootsbau noch in weiter Ferne sieht, weil er sich wirtschaftlich nicht rechne, ist der Köpenicker Solarbootverein e.V. dabei, ein umfangreich ausgebautes Solarbootnetz im Berliner Umland in Betrieb zu nehmen. Ab dem kommenden Jahr können ökologisch orientierte Bootfans in Köpenick Solarboote mieten und von dort aus zu Tagesausflügen in Richtung Müritz aufbrechen. Peter Lerch

Die Internationale Boots-Ausstellung geht noch bis zum 20.November und hat täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintrittspreis beträgt 15 DM. Schüler und Studenten zahlen acht Mark.

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