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Ein Mann mit göttlichem Charisma

■ Pete Sampras fehlen nach der Niederlage gegen Boris Becker nicht nur Punkte, sondern auch Freunde fürs Leben

Frankfurt/Main (taz) – Nach seinem verlorenen Match gegen Boris Becker (5:7, 5:7) saß der 1,85 Meter große Pete Sampras (23) am Mittwoch abend wie ein Häufchen Elend vor den MedienvertreterInnen in der Festhalle. „Ich fühlte mich gut, ich hatte viel Energie da draußen auf dem Court – aber es war einfach nicht mein Tag.“ Der Mann aus Tampa in Florida (USA), der gerne immer ästhetisches „Gentleman-Tennis“ spielen möchte wie sein großes Vorbild Rod Laver (heute 56) aus Australien, war nach seiner Auftaktniederlage bei der ATP-Weltmeisterschaft in Frankfurt/Main so irritiert, daß er ohne die obligatorische Baseballmütze mit dem Logo seines Sponsors zur Pressekonferenz erschien. Zweimal wurde Sampras von Becker beim Spielstand von 5:5 in beiden Sätzen gebreakt – und von einem Re-Break war der US-Amerikaner griechischer Abstammung danach immer meilenweit entfernt: „Die zweiten Aufschläge von Boris Becker waren genauso hart wie die ersten. Ich hatte keine Chancen bei seinem Aufschlag.“

Der „Schwarm aller Schwiegermütter“ (ATP-Programmheft), der heute die Weltrangliste mit einem Vorsprung wie kaum ein anderer Spieler vor ihm anführt (4.832 Punkte), ist der „Saubermann“ der Branche und das, was die US-Amerikaner einen nice guy nennen. Sampras zeigt (fast) nie Emotionen – weder auf dem Court noch draußen in der weiten Welt, in der er sich „manchmal einsam“ fühlt: „Ich bedaure, daß ich nicht aufs College gehen kann. Da triffst du nämlich Freunde fürs Leben, und davon habe ich nicht viele.“ Aber „Pistol-Pete“, der Mann der tausend Asse, weiß auch, daß die Boys and Girls, die daheim in den Staaten aufs College gehen, um danach einen Job zu finden, der ihnen 30.000 Dollar im Jahr einbringt. Sampras: „Die mach' ich doch an einem Abend.“

Fast provozierend lässig spielte Sampras gegen Becker – aber nur fast. Denn die Provokation des Gegners auf dem Court ist seine Sache nicht. Sampras will geliebt werden. Und winning ugly – das Credo von Andre Agassis neuem Trainer Brad Gilbert – ist ihm ein Greuel. Pete Sampras, der Langweiler ohne Charisma? Charisma, sagt Sampras, sei doch ein Wort aus dem Griechischen und bedeute „Gnadengabe“. Und weil er sein Talent zum Tennisspielen „vom lieben Gott“ bekommen habe, als „Gnadengabe“, müsse er über Charisma nicht lange reden. Sein Sport lebe auch von der Gegensätzlichkeit der Charaktere auf dem Court. Er sei eben kein mad dog wie Agassi oder Becker. Aber wer aus seiner gelangweilt wirkenden Art zu spielen schließe, daß er nicht kämpfe und ihm das Tennisspielen letztendlich nicht viel bedeute, der befinde sich im Irrtum. Pete Sampras, ein Mann ohne Fehler? Sein Jugendfreund Michael Chang kann wenigstens einen klar benennen: „Pete kann nicht gut kochen.“

Kochen muß Sampras auch nicht können, um das Halbfinale in Frankfurt doch noch zu erreichen – nur gestern Stefan Edberg (nach Redaktionsschluß) und dann noch Goran Ivanisevic besiegen. Mit Blick auf die vor ihm liegenden Matches wurde der brave Pete dann noch philosophisch: „Sollte ich verlieren, bin ich am Wochenende zu Hause. Wenn ich gewinne, bleibe ich hier. Ich würde natürlich lieber hierbleiben.“ Klaus-Peter Klingelschmitt

Frauen-Masters in New York, 1. Runde: Lindsay Davenport (USA) - Anke Huber (Karlsdorf) 6:2, 6:3; Conchita Martinez (Spanien) - Natalja Zwerewa (Weißrußland) 2:6, 6:2, 6:4; Mary Pierce (Frankreich) - Amanda Coetzer (Südafrika) 5:7, 6:3, 6:3

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