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Die offenen Adern des Regierungsviertels

■ Wenn sich der Tunnelbau unter dem zukünftigen Berliner Regierungssitz verzögert, muß der Bundeskanzler auf einer Baustelle residieren

Sorgen treiben Berlins Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) um, wenn er an die Baugruben im Herzen der Hauptstadt denkt. Die Planungen für den neuen Zentralbahnhof nahe des zukünftigen Regierungsviertels, so teilte Diepgen dem Chef der Deutschen Bahn AG, Heinz Dürr, mit, dürften zu „keinen weiteren Verzögerungen mehr führen“. Obwohl der Terminplan für den Bau des gigantischen Bahnhofs inklusive der kilometerlangen Schienen- und Straßentunnel sehr knapp kalkuliert ist, fallen der Bahn nach und nach Änderungswünsche ein. Mal soll das 20 Meter tief in den schlammigen Untergrund reichende Bauwerk ein bißchen größer werden, mal sind die Erschließungsstraßen breiter angelegt. Diepgen wäre die Sache egal, wenn es nur um Straßen und Schienen ginge, doch von der Fertigstellung der Tunnel unter dem Spreebogen hängt ab, ob die Bonner Regierung zum angepeilten Termin im Jahr 2000 in Berlin arbeitsfähig ist. Ohne Tunnel kein Regierungssitz.

Gefahr droht auch von anderer Seite. Die Magnetbahn–Planungsgesellschaft läßt bereits ein Gutachten prüfen, ob der Transrapid von Hamburg kommend direkt in den neuen Zentralbahnhof einfahren und auf der anderen Seite in Richtung Dresden herausschweben kann. Sollte diese Idee tatsächlich in den konkreten Planungen berücksichtigt werden, sind sämtliche Umzugstermine nicht mehr das Papier wert, auf dem man sie schrieb. Die erneute Auslegung der Bauunterlagen inklusive der nochmaligen Beteiligung der betroffenen Bevölkerung wäre notwendig. Das dauert ein Jahr oder mehr.

Eine unterirdische Breite von nahezu 100 Metern

Auch ohne Transrapid haben die PlanerInnen sich viel vorgenommen. Auf einer Strecke von dreieinhalb Kilometern unter dem Potsdamer Platz und dem Regierungssitz im Spreebogen wollen sie das Unterste nach oben kehren. Für fast fünf Milliarden werden gebaut: der Eisenbahntunnel mit vier Gleisen in Nord-Süd-Richtung, ein dazu paralleler, vierspuriger Autotunnel der Bundesstraße 96 und mehrere auf der Ost-West-Achse verlaufende U-Bahn-Tunnel. Straßen- und Eisenbahntunnel werden tief unter der Spree hindurchführen. Im Bereich der Spreeunterquerung beanspruchen die für die Einfahrt in den Zentralbahnhof bereits aufgefächerten Bahngleise, U-Bahn- und Straßenröhren eine unterirdische Breite von nahezu 100 Metern.

An dieser Stelle südlich des Flusses, im sogenannten Spreebogen, liegt denn auch die technisch wie politisch heikelste Baugrube. Wo Tausende von BauarbeiterInnen sich per Tagebau in den märkischen Sand wühlen, wird dereinst, so hat Kanzler Kohl es sich ausbedungen, der Regierungschef zu Fuß zur Parlamentssitzung im Reichstagsgebäude flanieren. Links vom Tunnel steht das Bundeskanzleramt, rechts die Bundestagsverwaltung. Direkt über den unterirdischen Röhren im Zentrum des Staatsareals ist ein sogenanntes „Forum“ geplant, dessen Verwendung noch nicht endgültig geklärt wurde. Grundsätzlich richtig ist es zwar, wenn Jörg Ihlau, Sprecher des Bundesbauministeriums, „keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Bau des Bundeskanzleramtes und den Tunneln“ sieht, doch ebenso klar ist auch, was passiert, wenn die Verkehrsgräben aufgrund irgendwelcher Verzögerungen nicht rechtzeitig von oben verschlossen werden. Dann nämlich gähnt zwischen dem Bundeskanzler und dem Parlament ein riesenhaftes Loch. Ob das dem Regierungsumzug förderlich ist, muß die Zeit erweisen.

Theoretisch ist natürlich sicher, daß alles fristgerecht fertig wird. „Berlin hat zugesagt, daß 1998 der Deckel auf den Tunneln liegt“, versichert Engelbert Lütke Daldrup, Hauptstadtbeauftragter des Bausenators. Nach dem frühestmöglichen Baubeginn im Herbst 1995 bleiben für den Kraftakt also drei Jahre, bis Ende 1998 der Bundeskanzler in sein neues Amt ziehen soll. Von dieser optimistischen Terminplanung scheinen sich einige bereits zu verabschieden. Heißt es in einem internen Gesprächsprotokoll der HauptstadtplanerInnen doch: „Anfang 1998 werde der Tunnel weitestgehend – jedoch noch nicht gänzlich – gedeckelt sein.“

Zeitverzug droht zum Beispiel durch die Planänderungen der Bahn AG. VertreterInnen von Verkehrsinitiativen, die die Buddelei kritisch begleiten, haben erfahren, daß die Ausfahrtrampen des Straßenbahntunnels am nördlichen der Spree gelegenen Zentralbahnhof gegenüber den bisherigen Plänen um einige Meter verschoben werden sollen. Was auf den ersten Blick als marginale Veränderung erscheint, könnte sich zum rechtlichen Problem ausweiten. Denn die Bauunterlagen wurden im Sommer bereits der Öffentlichkeit vorgestellt, worauf 19.000 BürgerInnen Einwendungen einreichten. Wenn sich die Pläne danach wesentlich ändern, „ist die erneute Planauslegung notwendig“, meint Jürgen Schwenzel vom Verein „Moabiter Ratschlag“. Falls die Rechte der Bürgerbeteiligung verletzt würden, drohen die Initiativen mit juristischer Gegenwehr. Diese könnte die Bauarbeiten um das entscheidende Jahr verzögern.

Für die Regierungs- U-Bahn fehlt noch das Geld

Weitere Unwägbarkeiten erwachsen aus möglichen technischen Schwierigkeiten bei den Bauarbeiten selbst (siehe Interview). Wegen des hohen Grundwasserstandes müssen die Bodenplatten der Tunnel und des Bahnhofs unter Wasser betoniert werden – ein Verfahren, das in der entsprechenden Größenordnung bislang nirgendwo ausprobiert wurde. Zudem könnten Geldprobleme entstehen: Die einstmals geplante Stadtbahnlinie 21 zum Zentralbahnhof wurde bereits gestrichen, weil dem Senat die Mittel fehlen. Auch für die Regierungs-U-Bahn, U 5, haben die Berliner PolitikerInnen bislang kein Geld auftreiben können. Möglicherweise erfahren die Baufirmen also während der Arbeiten, daß ihre Bezahlung auf wackeligen Füßen steht.

Ihre tiefere Ursache haben die gegenwärtigen Schwierigkeiten in der Verkehrspolitik des Senates und der Bahn AG seit 1989. Dem Bau der neuen Nord-Süd-Verbindungen durch das Zentrum der wiedervereinigten Stadt wurde der Vorzug gegeben vor der Wiederherstellung der alten, kreisförmig die Innenstadt umschließenden Gleisanlagen. Diese, so argumentiert Michael Cramer, Berliner Verkehrsexperte von Bündnis 90/ Die Grünen, hätten nach und nach renoviert werden und den jeweiligen finanziellen Möglichkeiten angepaßt werden können. Die PlanerInnen hätten damit nicht nur einen verläßlichen Rahmen für den Regierungsumzug geschaffen, sondern auch verkehrspolitische Zeichen gesetzt. Denn der neuen Nord-Süd-Strecke fallen ein Teil des alten Schienenrings und dadurch die einstmals hervorragende Anbindung der südlich Berlins gelegenen Regionen zum Opfer. Hannes Koch

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