piwik no script img

Aufzug ins Obergeschoß

Borussia Dortmund verliert beim 1:1 gegen die Freiburger Flucht nach vorn seinen ersten Heimpunkt und Andreas Möller wundert sich  ■ Aus Dortmund Ulrich Fuchs

Muß ihnen die Angst noch in den Knochen stecken! Den Kickern vom SC Freiburg. Die Angst vor dem Abstiegsgespenst, das zum Ende der vergangenen Saison schon konkrete Gestalt angenommen zu haben schien. Bis die umschwärmten Hätschelkinder der Liga dann kurz vor dem Abläuten im Gruselkeller des Fußball-Oberhauses doch noch die Treppe fanden und ins rettende Souterrain der Erstklassigkeit stolperten. Angeführt von Volker Finke, einem Übungsleiter mit jungsozialistischer Vergangenheit, gilt seitdem nur eins: Vorwärts und nicht vergessen!

So beängstigend konsequent haben die Schwarzwälder Kombinierer dabei in der laufenden Spielzeit in ihrer Spezialdisziplin, der Flucht nach vorne agiert, daß die Fans mittlerweile vom Umzug ins sonnige UEFA-Cup-Obergeschoß träumen. Und die tollsten Haken in der Schar der Freiburger Angsthasen hatte Rodolfo Esteban Cardoso geschlagen. Der argentinische Ballverzauberer ist nicht nur das Herzstück in der filigranen Vorwärtsflucht-Bewegung des Freiburger Spiels. In der vergangenen Woche hatte er gegen Frankfurt auch Andy Möller abgehängt: den Torjäger der Liga, der sich bis jetzt am härtesten an seine Fersen geheftet hatte.

Was aber jetzt? Wo es am Samstag in die Höhle des Löwen ging? Ins Dortmunder Westfalenstadion. Wo es noch keiner in dieser Spielzeit geschafft hatte, auch nur ein einziges von jenen begehrten Pünktchen zu ergattern, die überlebensnotwendiger Balsam sind für die Abstiegs-Traumatiker aus dem Südbadischen. Und mit auf dem Platz: Andy Antritt, Cardosos Jägermöller. Vergeblich schien es, hatte der Pädagoge Finke sich und seine Zöglinge im Lauf der Woche noch einmal mit den grundlegenden Gepflogenheiten im noch ungewohnten oberen Drittel der Liga vertraut gemacht: „Wenn ich richtig informiert bin, können wir auch aus Dortmund höchstens zwei Minuspunkte mitbringen.“ Und wenig trostspendend offensichtlich auch seine Erkenntnis: „In Dortmund kann man verlieren.“

Sicher ist sicher, schienen seine Kicker zu denken, als sie in der ersten Minute den Ball an den Fuß und das Herz in die Hand nahmen: Blitzsauber läuft die Kombination in den Dortmunder Sechzehner, Cardoso freigespielt, es winken zwei Fliegen (Punkte aus Dortmund! Verfolger Möller abhängen!) mit einer Klappe – aber oje, Cardoso, nicht wie sonst den Schalk, sondern den Dortmunder Torjäger im Nacken, verfehlt die Kugel. 15. Minute, zweiter Anlauf, gleiches Prinzip: Cardoso semmelt in den westfälischen Regenhimmel.

Ab da des Trainers Variante: Einigeln. Immer wenn die Borussen sich bedrohlich dem Freiburger Tor nähern, ist die Defensivabteilung der Südbadener schon da. Cardosos dritte Chance vereitelt der Schiri, als er nach Cesars Foul an Rraklli den fälligen Elfer verweigert. Und dann, im direkten Gegenzug, ist er da, der befürchtete Antritt. Unwiderstehlich zieht der geschmähte Nationalkicker los, Doppelpaß mit Riedle, cooler Abschluß, und stellvertretend für Cardosos Skalp schüttelt ein verzückter Andy Möller die Eckfahne – und Freiburgs Trainer Finke den Kopf.

War's das? Von wegen. Die Wiederentdeckung der Freiburger Flucht nach vorne vollendet, nein, nicht Cardoso, sondern Ralf Kohl, von seinen Kollegen unschön „Kanzler“ gerufen. Das spielt zum glücklichen Ende dann aber auch keine Rolle mehr. „Deutscher Meister wird nur der BVB“, singen Freiburgs den Gegner nicht vergessende Fans noch lange nach dem Schlußpfiff, und Kapitän Spies' Resümmee klingt keineswegs mehr wie Pfeifen im Keller: „Bis zur Winterpause spiele ich jetzt noch gegen den Abstieg – dann gucken wir mal, wieviel Punkte wir haben.“

Daß es genug sein werden, um an höhere Stockwerke zu denken, glaubt auch Herr Antritt. Freiburg hätte „eine sehr gute Mannschaft“, verkündete er mit einem verschwörerischen Grinsen. Er wisse zwar nicht, wieso die so gut seien, aber sie seien sehr gut.

SC Freiburg: Schmadtke - Vogel - Sundermann, Spanring - Kohl, Todt, Zeyer, Cardoso, Heinrich - Spies (89. Wassmer), Borodjuk (45. Rraklli)

Zuschauer: 42.800 (ausverkauft)

Tore: 1:0 Möller (61.), 1:1 Kohl (78.)

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen