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Aids-Patienten tanken Antikörper

Kann mit der passiven Immuntherapie den HIV-Infizierten geholfen werden?  ■ Von Manfred Kriener

In den USA, in Großbritannien und Frankreich wird eine wachsende Zahl von HIV-Patienten mit der sogenannten passiven Immuntherapie (PIT) behandelt. Gesunde Infizierte mit ihrem noch intakten Immunsystem und vielen Antikörpern im Blut spenden Plasma an länger Infizierte mit fortgeschrittenem Krankheitsbild. Die bisher veröffentlichten Studien belegen positive Effekte. Dennoch sind in der Bundesrepublik Ärzte und Betroffene noch zurückhaltend. Diese Skepsis dürfte diese Woche auch die Therapie- Diskussion auf dem Deutschen Aids-Kongreß in Hannover dominieren.

Die Therapie ist keineswegs neu. Schon 1988 veröffentlichte ihr Erfinder, Abraham Karpas, in Großbritannien eine Studie und stellte sein Behandlungskonzept vor. Das Prinzip ist einleuchtend: Im Blut von gesunden, relativ frisch infizierten HIV-Positiven befinden sich große Mengen Antikörper, die im Labortest das Virus neutralisieren. Mit zunehmender Krankheitsdauer nimmt jedoch der Antikörpergehalt im Blut ab, bestimmte Antikörperklone verschwinden ganz. Wenn nun Blut von immunkompetenten HIV-Infizierten entnommen und darin die Viren chemisch unschädlich gemacht werden, kann man das Plasma mit den Antikörpern auf einen Empfänger übertragen. Die roten Blutkörperchen gehen an die Spender zurück.

Schon in der ersten Langzeitstudie von Karpas zeigten sich positive Effekte: Der meßbare Virusgehalt im Blut der zehn Testempfänger ging stark zurück. Das virale Protein P 24, das als Indikator die Virusvermehrung anzeigt, verschwand nach jeder Antikörper- Infusion zeitweise ganz aus dem Blut. Auch die Zahl der T-Helferzellen stabilisierte sich während der einjährigen Behandlungsdauer. Zudem ist die Therapie bis auf vereinzelte milde allergische Reaktionen sicher und frei von Nebenwirkungen.

Diese Befunde wurden auch von französischen und US-amerikanischen Ärzten bestätigt, die inzwischen ebenfalls Studien vorgelegt haben. In einer kleinen französischen Untersuchung, bei der neun Aids-Patienten mit passiver Immuntherapie und neun mit dem Blut von HIV-Negativen behandelt wurden, zeigte sich außerdem, daß die Zahl der „Opportunistischen Infektionen“, die typischen Folgeerkrankungen von Aids, mit der neuen Therapieform zurückging. Im Oktober wurde eine weitere französische Studie vorgestellt, die der passiven Immuntherapie auch eine lebensverlängernde Wirkung bescheinigt: Von 21 PIT-Patienten starb innerhalb eines Jahres nur einer an den Folgen seiner Aids-Erkrankung, in der Placebo-Gruppe mit 30 Aids- Patienten starben dagegen sechs.

Die bisher vorgelegten Studien zeigen bei allen erfreulichen Effekten der passiven Immuntherapie aber auch ihre Probleme. So kommt es nach Absetzen der Antikörpergabe zu Rebound-Wirkungen und einer deutlichen Verschlechterung. PIT muß also über lange Zeiträume, unter Umständen sogar lebenslang angewandt werden. Zudem scheint die Behandlung nur bei Patienten mit mindestens zwischen 50 und 200 T-Helferzellen anzuschlagen, die also noch nicht das schwerste Erkrankungsstadium erreicht haben.

Eine amerikanische Dosisfindungsstudie belegte, daß nur hohe Antikörperkonzentrationen von 500 Milliliter die gewünschte Wirkung haben. Das aber bedeutet, daß mehr Spender benötigt werden, die zumindest einmal in zwei Monaten zur Ader gelassen werden. Die entscheidende Frage: Welche gesundheitlichen Auswirkungen hat die Blutentnahme auf den Krankheitsfortschritt der Spender? Schadet ihnen der Antikörperverlust? Erkranken sie deshalb möglicherweise selbst viel schneller an Aids? Solange keine wissenschaftlich abgesicherten Langzeitbeobachtungen vorliegen, bleibt ein Mißtrauen gegenüber Karpas' Einschätzung, daß auch die Blutspender profitieren, weil ihr Immunsystem durch die Entnahme stimuliert werde.

Die Spender könnten indessen von einer Fifty-fifty- Regelung profitieren: 50 Prozent ihres Blutes gehen an die Empfänger, und 50 Prozent werden eingefroren und als Reserve zurückgelegt, damit der Betroffene nach einigen Jahren möglicherweise selbst die Immuntherapie anwenden kann. Britische Ärzte haben zudem vorgeschlagen, daß die Spender in jedem Fall später bei der Verabreichung von Plasma bevorzugt werden sollen. Bei Umfragen in den USA waren 14 Prozent aller Infizierten, in einer zweiten Befragung sogar 27 Prozent bereit, regelmäßig Blut zu spenden, um damit anderen HIV-Patienten zu helfen.

Dennoch zeigen sich Ärzte und Patienten hierzulande reserviert. In den vom Deutschen Aids-Zentrum herausgegebenen Aids- Nachrichten, die regelmäßig die neuesten Ergebnisse aus der Forschung akribisch zusammenfassen, wurden die bisher publizierten Studien zur passiven Immuntherapie mit großer Zurückhaltung kommentiert. Für Ulrich Marcus, Sprecher des Zentrums, reichen die bisher vorgelegten Arbeiten noch nicht zu einer eindeutig positiven Bewertung aus. Marcus sieht vor allem „logistische Probleme“: Wie wolle man die Spender zusammenkriegen?

Hans-Josef Linkens, Therapie- Spezialist der Deutschen Aidshilfe, befürchtet, daß die Neuinfizierten möglicherweise unter moralischen Druck geraten könnten. Dann müsse jeder Kranke seinen Spender im Schlepptau haben. Genau das passiert gegenwärtig in London. Dort können Aids-Patienten gegenwärtig in drei Krankenhäusern HIV-Antikörper „tanken“. Einzige Bedingung: Sie müssen jedesmal einen Plasmaspender mitbringen.

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