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Bei Bob am Bett

Wo der Schmerz am tiefsten ist: „Visiting Hours“ von und mit Bob Flanagan im New Museum, New York  ■ Von Harald Fricke

Jeder versteht die Zeichen sofort. Reitgerte und Ledergurt hängen in der Ecke, davor eine alte Überseekiste mit Dildos, Onkel- Doktor-Set und einer abgegriffenen Superman-Puppe. Der Museumskasten am Broadway, sonst programmatisch auf soziale Belange fixiert, ist mit Erwachsenenspielzeug angefüllt. In der hinteren Nische steht, dezent angestrahlt, eine zum Nagelbett umgenutzte Krankenhausbahre, an der Wand gegenüber ist ein Dia-Leuchtkasten mit den Röntgenaufnahmen einer Brust befestigt, deren beringte Warzen wie Augen aus dem dunklen Knochengestrüpp hervorstechen. Es riecht nach Lysoform und Lederfett. Sadomasochismus, nicht bei Gottschalk, sondern für zwei Monate am Schauplatz Museum: eine Mischung aus Sexshop, Klinik und Kindergarten. Die Welt, die sich der kalifornische Punk, Poet und Körperkünstler Bob Flanagan für seine große autobiografische Einzel-Show inmitten von SoHo zwischen Galerien und Boutiquen zusammengesetzt hat, ist hart und rund.

S/M, von den Medien ins Feld gesellschaftlicher Tatsachen gehievt, ist trotz Latex-Moden und Techno-Partys eine Sache von Spezialisten geblieben, die der Wille zum Code mehr beherrscht als die Lust am Anderen. „Es ist wie bei Skifahrern, Bergsteigern oder Radlern“, erklärt Sheree Rose, seit 14 Jahren Partnerin und einfühlsame Domina an der Seite von Bob Flanagan. „Je eindringlicher du dich damit befaßt, desto besser ist das Equipment, das du dir für deine Aktivitäten besorgst.“ Während allerdings die Gegenstände der Form nach sehr einprägsam und hübsch im Museum aufgereiht erscheinen, bleibt ihre Funktion dem Unbeteiligten völlig ungewiß, wenn nicht banal. Wie soll man etwa den Hocker mit einer zuckerhuthohen Noppe in der Mitte benutzen? Und wozu sonst ist das Krabbelgestell für Kleinkinder noch gut? Gleichzeitig gehören verstreute Küchenscheren, Fliegenklatschen oder Bettpfannen zum Arsenal gängiger Haushaltswaren. Genau diese verwandtschaftliche Nähe zwischen Alltag und Fetisch gibt dem Sammelsurium Flanagans die künstlerische Dimension einer nicht minder perfekten, nur eben verschobenen Realität. Das unterscheidet ihn vom bonbonfarbenen Kinderschänderpop eines Paul McCarthy: Hier wird nicht mit frechen Symbolen zu mehr gesellschaftlicher Toleranz ermahnt, Reales und Imaginäres sind unzertrennlich wie dead ringers.

Keine Folterbänke, nur strenge Objekte

Die Dinge sind so geordnet, daß man den Durchgang als sanfte Einführung in den S/M-Alltag erlebt. Keine echten Folterbänke also, sondern eine diffuse, irgendwie sehr strenge Objektwelt, die sich erst in der Phantasie organisieren muß. Die Mauer aus Bauklötzchen am Eingang ist nur scheinbar eine Kindheitserinnerung. Sie wiederholt den immergleichen Buchstabencode, von kleinen Bildchen mit gefährlichen Werkzeugen unterbrochen: BF – SM – CF; Bob, seine Vorlieben und das Kürzel einer Krankheit: Cystic fibrosis.

Denn „Visiting Hours“ erzählt vor allem eine Krankengeschichte, die von Flanagans obsessiver Sexualität nicht zu trennen ist. Seit seiner Geburt leidet der 41jährige Künstler an Mukoviszidose. Dabei sammelt sich Schleim in der Lunge an, bis der Betroffene wie ein Ertrinkender quasi im eigenen Wasser zu ersticken droht. Hoffnung auf Heilung gibt es nicht, die Atemnot hängt mit einem Fehler in der DNS-Struktur zusammen. Normalerweise ist die Lebenserwartung niedrig, und Flanagans Einschulung Anfang der sechziger Jahre wurde in lokalen Zeitungen als kleines Wunder vermeldet. Doch dann entdeckte der junge Bob im Kindesalter seine Neigung zum Masochismus. Wie bei einem ritualisierten Geburtsspiel setzen kräftige Schläge auf den Hintern und überhaupt körperliche Gewalt in ihm genügend Adrenalin frei, so daß der Kranke beim Orgasmus atmen kann wie im Rausch. Die paradoxe Regel vom Schmerz, der durch Schmerzen heilbar ist – eher ein Gedankenspiel in Abwandlung der Paracelsischen Parabel vom Skorpion –, wurde für Flanagan zur Überlebenspraxis, die Peitsche zur besten Medizin. Den Rest des Tages hängt er an Saugpumpen und Sauerstoffflaschen. Sicher hat auch Theorie eine Rolle gespielt, als die Kuratorin Laura Trippi den Performer aus Los Angeles ins New Museum eingeladen hat: der Masochismus als die in Vitalität umgeformte Variante des Todestriebs. Umgekehrt könnte man aber genausogut darauf schließen, daß er sich schon längst mit der Krankheit identifiziert hat. Er selbst ist der Schmerz, den sein Körper permanent darstellt – und der fortschreitende Tod eine Form des Lebens, nur in Kunst überführt. Das alles erfährt man bei Bob am Bett. Mitten im Museum hat er sich eine pinkfarben gestrichene Koje einrichten lassen. Umgeben von Klistieren, Oszillographen und Notapparaturen harrt Flanagan während der Ausstellungszeit in einem simulierten Krankenzimmer aus und erklärt sich über sein Kunstwerk. Nachmittags um fünf wirkt sein Händedruck zur Begrüßung schon ein wenig schlapp, denn „es ist sehr anstrengend, mit jedem zu reden, der hereinschaut, wenn man kaum Luft dabei bekommt. Morgens lasse ich mich aus dem Hotel herbringen, dann diskutiere ich mit den Leuten bis zum Ende der Öffnungszeit; danach zurück ins Hotelzimmer, das war's“. Auf diese Weise gehören Kunst, Körper und Kommunikation im Falle Flanagans so konsequent zusammen, wie es sich die masturbierende Wiener Kunstbetriebsqueen Elke Krystufek nicht im Traum hätte einfallen lassen. Manchmal kommt Flanagan beim Gespräch, denn auch das Bloßstellen des Verfalls hat seine erotischen Reize. Zwei Grunge-Girls fragen, ob es denn sein muß, daß sich Bob beim Sex quält. Und Bob gibt lächelnd unendlich viele Begründungen ab.

Doch Flanagan will natürlich gar kein Mitleid wecken, schon weil er lieber wirklich leidet. Vor zuviel sozialem Anschluß schützt ihn sein extremer Humor. Dann kippt die Selbstinszenierung des vermeintlichen Opfers ins Lächerliche um: Außen an die Wand des kleinen Häuschens hat Flanagan zwischen allerlei nasty toys und sakrosankten Reliquien ein nettes „Supermasochist“-Poster gehängt, das ihn als schmächtige Figur nackt und nur mit einem Gummicape um die Schultern zeigt. Heldenhaft wie Woody Allen, denn Sadomasochismus ist sehr lustig. Noch winkt er freundlich, aber nur ein paar Meter weiter sieht man dasselbe Männchen ebenso begeistert in einer Video-Installation gekreuzigt auf sieben Monitoren: den Kopf unter Wasser getaucht, die Füße mit Nägeln durchbohrt, den Rumpf voller Striemen. Irgendwann bekommt er einen Nagel durch die Eichel gehämmert. Auch hier bewegt sich der Künstler Flanagan auf einem schmalen Grat zwischen brüllendem Witz und totaler Grausamkeit.

Sexphantasien eines Entfesselungskünstlers

In Hüfthöhe führt ein Text durch das Museum, immer an der Wand lang. „Why“ ist ein Flanagan-Gedicht, das für all jene den Zusammenhang der Ausstellung erklärt, die sich nicht so gerne mit den konkreten Objekten beschäftigen möchten. Eine endlose Arabeske aus bizarren Jugenderinnerungen, Sexphantasien und dunklem Katholizismus, in der Flanagan über die Liebe zum Schmerz bekennt: „Because it feels good; because it gives me an erection; because it makes me come; because I'm sick.“ Ein paar Sätze später steht dort auch „because of Houdini“. Das Bild gefällt mir: Zauberer, Verwandlungs- und Entfesselungskünstler könnte auch Bob Flanagan sein. Während sich die Krankheit immer mehr um den Menschen zusammenzieht, gewährt ihm die Kunst Freiräume.

„Visiting Hours“, bis 23. 12. im New Museum, New York

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