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„Wie trockene Brötchen“

■ Ein Vortrag über linke Eltern, rechte Kinder und die Schwierigkeit, deutsch zu sein

“Junge Neonazis sind keine verschrobenen individuellen Spinner. Wer nicht die Gründe ihrer Unzufriedenheit kennen und anzuerkennen lernt, wird sie auch nicht von den falschen und menschenverachtenden Konsequenzen faschistischer Politik abbringen können.“ Dieser Ausspruch ist 14 Jahre alt und stammt von dem damals 28jährigen Ulrich Chaussy. Bis heute fragt sich der nunmehr 42jährige Vater, Soziologe und Journalist, wie eigentlich Jugendliche zu Neonazis werden. Doch nicht nur das: Wie können darüber hinaus Berührungsängste der Elterngeneration mit den rechtsextremen Jugendlichen, wie können „selbstgefälliger Antifaschismus, Ausgrenzung und pädagogische Quarantäne“ überwunden werden?

Das interessierte auch die BremerInnen. Am Dienstag sprach Chaussy vor dem fast ausverkauften Kultursaal der Angestelltenkammer. Drei Generationen hörten einen zweistündigen Vortrag über neuere Entwicklungen am rechten Rand der Gesellschaft, doch vor allem den Aufruf zur Selbstkritik. Stand doch der dritte Abend der Veranstaltungsreihe „Rechtsextremismus: Verdrängen, bekämpfen, verstehen?“ unter dem Motto: „Der Apfel fällt auch weit vom Stamm.“

Ein aktuelles Beispiel: Unter den Angeklagten des rassistischen Brandanschlags von Solingen befindet sich ein zur Tatzeit 17jähriger mit antifaschistischen Eltern. Rechte Jugendliche sind heute nicht mehr nur die Sprößlinge Ewig-Gestriger, sie sind immer häufiger auch die Kinder „linker“ Eltern. Chaussy stellte deshalb die Generationen nebeneinander, befaßte sich mit ihren Weltanschauungen und der Sprachlosigkeit seiner Generation vor den rechten Kids. Für den Soziologen sind junge Gewalttäter aus der rechten Szene selbst auch Opfer. Deshalb geht es ihm auch um „das Selbstverständnis derer, die sie bekämpfen.“

Von moralischen Vorhaltungen haben die Täter-Opfer nichts. Seine Generation müsse sich schon trauen, mit ihnen offen über ihr Denken zu reden. Das hieße aber auch, über die eigenen Vorstellungen vom Deutsch-Sein nachzudenken. Ja, die guten alten 68er: Da ging es um „love“ und „peace“. Doch: „Beim Lagerfeuer im Urlaub sangen uns die Ungarn deutsche Volkslieder vor, denn uns fielen nur englische Texte ein. Wir dachten: Bloß keine Lieder, die von Heimat oder gar von der Nation handeln!“

Anders sei das bei in rechten Gruppen organisierten Jugendlichen, denen am Lagerfeuer sicher deutsche Lieder einfallen. „Hier suchen sie die Geborgenheit und Kameradschaft, die sie in anderen Jugendorganisationen nicht fanden.“ Die ehemaligen 68er sind heute die Eltern der dritten Generation rechtsextremer Kinder. Diese Jugendlichen hätten das Gerede über Hitler und das 3. Reich satt. Sie organisieren sich zunehmend im rechten Spektrum oder saugen deren Agitationen auf, „weil die rechtsextremen Gruppen über tatsächliche Nöte der jungen Menschen und über reale gesellschaftliche Mißstände reden.“

Eine Zuhörerin der Elterngeneration: „Für diese Jugendlichen sind wir doch trockene Brötchen, wir langweilen und provozieren sie, wie wir uns über andere stellen. Was unsere Generation heute braucht“, so die Erzieherin, „ist eine neue Identitätskrise!“ Für eine andere Frau ist der Umgang mit Rechten schwieriger: „Ich kann denen nur zuhören, bis meine eigene Unerträglichkeitsgrenze erreicht ist.“ Ein Student, Mitte 20, bringt es auf den Punkt: Die Hemmschwelle sei einfach zu groß, mit den Jugendlichen zu sprechen, „ohne daraus gleich eine Sozial-Studie zu machen.“ Das, meint eine Frau, habe auch etwas mit dem „wegerzogenen Nationalgefühl meiner Generation“ zu tun, für die das fehlende Liedgut offenbar symptomatisch ist: „Auch wir saßen oft im Urlaub am Lagerfeuer und dachten: Was singen wir bloß? Doch wir blieben stumm.“

André Hesel

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