Züchten, züchtigen

„The Body / Le Corps“ – zeitgenössische kanadische Kunst um den Körper im Haus am Waldsee  ■ Von Brigitte Werneburg

Kommentare zu 308 relevanten Begriffen listet „Le dictionnaire des Inquisiteurs“ von 1494 auf. Christine Davis hat sie 1992 zur Grundlage einer Installation gemacht, die im Rahmen der Ausstellung „The Body/Le corps. Zeitgenössische Kunst aus Kanada“ im Haus am Waldsee zu sehen ist. Zwölf hochbeinige, schwarze Leuchttische – analog den zwölf Richtern des Ketzerprozesses –, gruppieren sich zum Kreis. Zur Schuldüberführung bediente man sich des Wortes wie des Körpers, den man der Folter aussetzte, um das Geständnis zu erzwingen. Jeder Leuchttisch zeigt eine kleine Anzahl bunt gefärbter Kontaktlinsen, die mit einem der 308 Begriffe beschriftet sind. Durch Nachbarschaften der alphabetisch geordneten Begriffe, die sich zufällig ergeben, scheinen denkwürdige Sinnzusammenhänge wie etwa zwischen sentir (wahrnehmen, fühlen) und sentence (Urteil) oder corriger (korrigieren, züchtigen) und corps (Körper) auf.

Der Zusammenhang zwischen corriger und corps hat sich aus der Zeit voraufklärerischen Ketzerwahns völlig unbeschadet in die Zeit aufgeklärter Wissenschaft hinübergerettet. Unverändert ist der Glaube, daß der Körper zu korrigieren und zu zücht(ig)en sei, denn er ist mangelhaft; wenn auch nicht mehr in seiner Moral, so doch in seinem Genom. Hier knüpft Nell Tenhaaf an. Die zweite Künstlerin der Ausstellung zeigt DNA- Strukturen, X- und Y-Chromosomen und Zellteilungen „In Vitro“, also in beziehungsweise hinter Glas, im Leuchtkasten; ebenso ihren Körper, der sich in „The solitary begets herself, keeping all eight cells“ in etwa doppelter Länge über die gesamte Breite eines zweiten Leuchtkastens erstreckt. Den acht Zellen im Fleisch der Künstlerin, die auf ein entscheidendes Stadium im Verlauf der „in vitro“-Reproduktion Bezug nehmen, sind Fabelwesen aus Conrad von Megenbergs „Buch der Natur“ (1475) zugeordnet, die einstmals Mutationen darstellten.

Diese Verarmung unserer Körperphantasien verdeckt auch das Spektakel nicht, im Gegenteil. Ein Extrem: Die Serie „Pretty Ribbons“ von Donigan Cumming, der große Farb- und Schwarzweißfotografien vor einen Text an der Wand hängt und mit Tonbandstimmen ergänzt. Wenn es am Körper nichts mehr zu korrigieren gibt, dann setzt unsere Gesellschaft ein Darstellungstabu. Cummings durchbricht es, gemeinsam mit der 79jährigen, ehemaligen Journalistin Nettie Harris und ihren männlichen Mitspielern, die in all ihrer nackten Hinfälligkeit erotisch interagieren. Diese Bilder lohnen das genaue Hinsehen. Das andere Extrem: Evergones „Ramboys“ und „Rites of Passage“. Die Maske ist wohl das älteste und eigenartigste Mittel der körperlichen Korrektur. Hier ist sie nur goldgehörntes Accessoire eines „geschwollenen Bocksgesangs“. Evergone steht aber (ohne jede ironische Abmilderung) zu seinem Schwulenkitsch. Anders Jean- Jacques Ringuette mit seiner pathosdurchtränkten Serie „Ecce Homines“. Zwar sollen seine sepiagetönten großformatigen Brustbilder maniriert posierender Schmerzensmänner irgend etwas Neues darstellen, aber ästhetisch sind sie nur eine weitere Chiffre der Schwulenikone des Hl. Sebastian, wie er etwa in Homestorys über Gianni Versace immer wieder ins Bild rückt. Chuck Samuels dagegen korrigiert den Heterokitsch des gestylten Frauenakts großer Fotografen wie Outerbridge, Man Ray, Weston, Avedon oder Gibson. Im Ersetzen der Frauenfigur durch seinen eigenen Körper will auch er ein Genre „aus den Angeln heben“, wie er sagt. Aber so einfach läßt sich eine ideologisch derartig hochaufgeladene Sorte Bild ersichtlich nicht knacken. Das Projekt endet im kurzzeitig amüsanten Drag-Effekt. Die Ausstellung unterstellt eine politisch-gesellschaftliche Perspektive, den gezeigten Bildern ist sie nicht zu entnehmen.

„The Body / Le Corps“ bis 11. 12., Di. – So. 10 – 18 Uhr, im Haus am Waldsee. Katalog 39 DM.