: Eine Klinikfusion, die keiner will
■ Fraktionen von CDU und SPD bringen heute im Abgeordnetenhaus Entschließungsantrag zur Fusion der Unikliniken Charite und Virchow ein / Der Zusammenschluß bringt keine Einsparungen und viele Nachteile
CDU- und SPD-Fraktion werden heute im Wissenschaftsausschuß einen Entschließungsantrag zur Fusion der Unikliniken Charité und Rudolf-Virchow einbringen, der die von der Charité gewünschten Garantien festschreibt. Wie der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Reinhard Roß, gestern auf Anfrage mitteilte, werden darin für die Charité 1.200 Betten am Standort Mitte zugesagt. Bis zum Jahr 2004 sollen ausschließlich am Standort Mitte 800 Millionen Mark investiert werden, und niemand soll wegen der Fusion entlassen werden. Der Entschließungsantrag soll zusammen mit dem Gesetzentwurf bereits Anfang Dezember verabschiedet werden.
Eine Hürde muß allerdings noch genommen werden: Die Finanzierung des Personalabbaus durch Überhanglisten ist bisher nicht gesichert, räumt der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Franz Braun, ein. Bevor dies nicht gelöst ist, sei für ihn eine Verabschiedung „nicht denkbar“. Roß hofft, daß bis Anfang Dezember eine Zusicherung der Krankenkassen vorliegt, in welchem Umfang sie sich an den Kosten beteiligen werden.
Der Entschließungsantrag ist eine Willenserklärung des Parlamentes, bei der sich noch zeigen muß, ob sie den nächsten Haushaltsberatungen standhalten wird. Wenn die Garantien eingehalten werden, bringt der Zusammenschluß von Charité und Rudolf- Virchow-Klinik keine nennenswerten Einsparungen. Deshalb halten sich hartnäckig Befürchtungen, daß die Fusion nicht ohne Hintergedanken betrieben wird.
„Die Fusion ermöglicht weitere Einschnitte“, befürchtet Ellis Huber, Präsident der Ärztekammer. „Womöglich läuft es darauf hinaus, daß nur eine Uniklinik mit 1.300 Betten übrigbleibt, die sich auf dem Gelände des Virchow- Krankenhauses befindet, und man sich die Investitionen an der Charité spart.“ Für Huber wäre das auch „stadtpolitisch falsch, weil es Spaltung signalisiert“.
„Gespart wird nur durch den Bettenabbau“, erläutert der gesundheitspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Bernd Köppl. Mit der Fusion als solcher werde kein Spareffekt erzielt. Die Betten könne man aber auch ohne Fusion abbauen. Damit entfiele das Hauptargument der Krankenkassen, die vor allem deswegen den Klinikzusammenschluß befürworten.
Auch der FU-Vizepräsident Peter Gaehtgens meint: „Die Fusion bringt nur Einsparungen, wenn an der Charité in Mitte einige Abteilungen nicht realisiert werden.“ Daß angesichts knapper Haushaltsmittel abgespeckt werden muß, sehen die Chefs der drei Unikliniken ein. Einsparungen könnten aber auch durch eine freiwillige Kooperation erzielt werden. In einem Konsenspapier hatten sich die drei Kliniken im vergangenen Jahr bereits über eine Arbeitsteilung verständigt.
Ohne Zähneknirschen ging dies zwar nicht ab, aber der Wille zur Zusammenarbeit war durchaus vorhanden. „Diesen Ansatz zu einer einvernehmlichen Lösung hat der Senat zerstört“, bedauert FU- Vizepräsident Peter Gaehtgens. Davon sei man jetzt weiter entfernt denn je. Das Klima zwischen Charité und Virchow sei mittlerweile „katastrophal“.
Die Folgen der Fusion
Nicht nur Gaehtgens prophezeit, daß die Fusion beide Kliniken auf Jahre hinaus durch interne Auseinandersetzungen lahmlegt. Der Kampf um die Absicherung der eigenen Pfründe werde die wissenschaftliche Forschung stark beeinträchtigen. Dabei haben beide Institutionen schon mit sich selbst genug zu tun.
Das Virchow wird im nächsten Jahre gerade die Fusion mit dem Klinikum Westend hinter sich gebracht haben, die Charité bräuchte eine Konsolidierungsphase, nachdem jetzt nahezu alle Berufungen abgeschlossen sind. „Am liebsten würden wir unseren Laden alleine machen“, sagt Eckart Köttgen, Ärztlicher Direktor am Virchow. Hier herrsche gegenüber der Fusion eine „maximale Reserviertheit“.
Unerwünschte Nebenwirkungen hat die Fusion auch für die Humboldt-Universität (HUB): Die Zuordnung des Virchow- Krankenhauses zur HUB hat eine zahlenmäßige Übermacht von Medizinern in allen Hochschulgremien zur Folge. Die Universität wird quasi zum Anhängsel einer Medizinischen Fakultät.
Auch die vom Senat anvisierte Verringerung der Studienanfängerzahl von jährlich 1.000 auf 600 wird sich nicht so realisieren lassen, wie es der Gesetzentwurf vorsieht. Weil das Recht auf freie Berufswahl im Grundgesetz verankert ist, wachen die Verwaltungsgerichte mit Argusaugen darüber, daß alle Kapazitäten für die Medizinerausbildung auch genutzt werden. Die Studenten werden sich reihenweise einklagen, lautet die übereinstimmende Einschätzung der Hochschulen. In der Anhörung vor dem Wissenschaftsausschuß des Parlaments wurden mehrfach verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet.
Nachteile befürchtet die Freie Universität auch für ihr Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Steglitz. Das große fusionierte Uniklinikum von Virchow und Charité werde „wie ein Magnet“ Gelder anziehen. Der „kleine Benjamin“ (Gaehtgens) würde zum Stiefkind. „Das Ungleichgewicht schafft Konflikte“, so FU-Vizepräsident Gaehtgens.
Die Alternative
Deshalb plädiert er für drei selbständige Unikliniken und Fakultäten, die als gleichwertige Partner miteinander kooperieren. Eine Alternative, die auch Ärztekammerpräsident Huber und Bernd Köppl von den Bündnisgrünen befürworten. Jede Fakultät könnte auf 100 (Gaehtgens) oder 80 (Huber) Professuren abgespeckt werden. Damit würden die Professorenstellen von derzeit 440 auf 300 beziehungsweise 240 abgebaut.
Die wissenschaftliche Kooperation zwischen den Kliniken müsse institutionell verankert werden, fordert Köppl. Mit entsprechenden Auflagen ließe sich sicherstellen, daß eine Zusammenarbeit der drei Unikliniken auch tatsächlich stattfindet. Die DGB-Vorsitzende Christiane Breetz schlug in der Anhörung des Wissenschaftsausschusses vor, daß staatliche Gelder nur für die zwischen den Kliniken abgestimmten Schwerpunkte fließen. Dorothee Winden
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