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„Wenig des Wunders“

■ Das ukrainische Segelschulschiff Khersones überwintert in Hamburg Von Iris Schneider

Vadim versteht nix mehr. Schiff besichtigen? Jetzt gleich? Später, erstmal richtig festmachen, dann duschen und essen und danach könnt ihr wieder kommen, wehrt er ab. Dabei sehen sie doch gerade in ihren roten Overalls so zünftig aus, die Matrosen der Khersones. Aber daß die Journaille gestern die Gangway raufstürmte, kaum daß das Segelschulschiff aus Kertsch auf der Krim angelegt hatte, das war mehr, als die Mannschaft erwartet hatte. Als auch noch das Fernsehen anrückt, gibt der erste Offizier Aleksandr Nadtotschin halb resigniert, halb geschmeichelt nach und schickt vier Leute in die Rahen zum Segel verstauen.

Uwe Koch, Geschäftsführer von „Inmaris Perestroika Sailing“ sieht es mit Vergnügen. Seine Firma vermarktet das Drei-Mast–Vollschiff aus der Ukraine ebenso wie die russische Mir, die im Vorjahr an der Überseebrücke überwintert hat. Je mehr Aufmerksamkeit, desto besser. Zwar dient das Schiff eigentlich der Ausbildung von Seekadetten und zukünftigen Lebensmittelingenieuren der fischverarbeitenden Industrie, aber um die Unterhaltskosten zu erwirtschaften, sind zusätzliche Einnahmequellen nötig. „Wir machen den touristischen Part“, erklärt Koch seine Rolle. Der besteht unter anderem darin, westliche Segelfans gegen harte Devisen (100 Mark am Tag bei Unterbringung in Mannschaftsquartieren) für sieben bis zehn Tage mitsegeln und -arbeiten zu lassen. Dafür dürfen die sich dann auch mit dem Titel „Trainee“ schmücken. Im Sommer fahren regelmäßig zwischen zehn und 60 Trainees mit. Sie leben unter den gleichen Bedingungen wie die etwa 50 Kadetten pro Lehrgang: Auf etwa 25 Quadratmetern hausen 12 Mann in sechs Doppelstockkojen, Duschen und Toilette auf dem Gang.

Bei der Überführung des Schiffes von Kaliningrad nach Hamburg waren allerdings nur noch drei Trainees dabei. Da die 40 Kadetten des letzten Lehrgangs im ehemaligen Königsberg ausgeschifft haben und nur noch 20 Mann Besatzung an Bord sind, mußte das Schiff „hauptsächlich unter Maschine überführt“ werden, erklärt Bernd Kleefisch, im normalen Leben Geograph. Enttäuscht ist er trotzdem genausowenig wie Markus Gensert und Bernhard Furer. Alle drei sind früher schon auf der Mir mitgefahren, damals unter vollen Segeln. Um die 2770 Quadrameter Segel der Khersones setzen zu können müssen aber „all Hands an Deck“, wissen die drei zu berichten. „Mindestens vierzig Kadetten brauchen wir, um die Segel zu setzen“ bestätigt auch Nadtotschin.

Bis zum 20. März 1995 bleibt das ukrainische Segelschulschiff voraussichtlich an der Überseebrücke. Bis dahin stellt ihr die Wirtschaftsbehörde den Liegeplatz kostenlos zur Verfügung. „Wenig des Wunders“, wie die Russen sagen, daß Kaptitän Mikhail Sukhina die Hamburger Gastfreundschaft lobt. In dieser Zeit haben die Besatzung und Manager Koch noch viel vor: Das Schiff muß winterfest gemacht werden. Gleichzeitig steht das Schiff täglich von 10 bis 18 Uhr für Besucher offen, die gegen einen Eintritt von 5 Mark überall auf dem Deck herumspazieren dürfen. Wer einen Draht zu den Matrosen findet, der darf auch mal unter Deck schauen, versichert Diplom-Matrose Vadim Sejnalov. Nur wenn zu viele kommen wird es mühsam, „dann muß man soviel aufräumen“ fügt er fast verschämt hinzu.

Am nächsten Sonntag, den 4. Dezember wird der Segler um 14 Uhr für Besucher freigegeben mit einer Kapitänseinladung und einer Ausstellung ukrainischer Künstler. Vom 24. bis zum 30. Dezember ist eine Kreuzfahrt nach London geplant und zu Silvester wird an Bord eine große Fete steigen. Damit ist Uwe Koch aber noch nicht am Ende seines Marketing-Lateins: Die Kojen der Khersones (es gibt auch Doppelkabinen) will er als Hotelbetten vermarkten, unter dem Motto: “Besuchen Sie „Cats“ und schlafen Sie auf einem Dreimaster“.

Wer sich für die Angebote auf der Khersones interessiert, erhält Informationen unter 040 / 367 289.

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