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Ein Wohnwagen ist keine Wohnung

■ Karoviertel: Wagenburg „Bambule“ muß wohl weichen / OVG gegen Bauwagen / Dennoch Kritik am Wohnwagengesetz Von Sven-Michael Veit

Peter Müller (Name geändert, die Red.) hat Pech gehabt: Er wird sich wohl ein neues Dach überm Kopf suchen müssen. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG) will es so. In einem gestern veröffentlichten Beschluß befanden die Richter, daß Müller sich dem Willen des Bezirksamts Hamburg-Mitte zu beugen habe. Und das will räumen.

Müller bewohnt einen Wagen auf dem Bauwagenplatz „Bambule“ in der Vorwerkstraße im Karolinenviertel. Er hatte gegen eine Verfügung des Bezirksamtes, bis zum 15. September zu verschwinden, die Gerichte angerufen. Sein Ruf blieb ungehört, das OVG erklärte die Räumungsanordnung des Bezirksamtes für rechtmäßig und „sofort vollziehbar“. Damit droht auch den weiteren „Bambules“ die Vertreibung; ein zweites Verfahren wird bereits in wenigen Tagen entschieden werden.

Zugleich jedoch übten die Richter ungewöhnlich deutliche Kritik an Senat und Bürgerschaft der Hansestadt. Es sei fraglich, ob das Hamburger Wohnwagengesetz, das letztmalig 1959 geändert wurde, „in dieser Form noch in die heutige Zeit paßt und ggf. zu ändern bzw. aufzuheben ist“. Damit habe das OVG den Finger in eine offene Wunde gelegt, kommentiert Müllers Anwalt Manfred Getzmann: „Nachdrücklicher können Richter nicht darauf hinweisen, daß dieses Gesetz völlig antiquiert ist und nichts mehr mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu tun hat“.

Nach dem 35 Jahre alten Wohnwagengesetz ist die „Nutzung von Wohnwagen als Wohnung“ auf Hamburger Gebiet verboten. Das Wohnen in einem Bauwagen sei deshalb als Verstoß gegen das Gesetz und als Störung der öffentlichen Sicherheit zu sehen, die das Bezirksamt unterbinden dürfe, begründete das OVG seine Entscheidung. Unerheblich ist dabei nach Ansicht der Richter, daß andere Hamburger Bezirke – wie Altona und Eimsbüttel – in dieser Frage weitaus liberaler handeln. Es sei eine Frage des Ermessens, und das Bezirksamt Mitte ermesse eben restriktiv nach dem Buchstaben eines veralteten Gesetzes.

Anwalt Getzmann sieht „erheblichen Regelungsbedarf“. Hamburgs Politiker müßten sich schnellstmöglich über eine einheitliche Regelung verständigen. Es könne nicht angehen, daß in Mitte verboten sei, was in Altona und Eimsbüttel erlaubt ist. Am besten wäre, so Getzmann, „das Gesetz der Realität anzupassen oder, wie es das OVG andeutet, einfach aufzuheben“. Zunächst wolle er jedoch das Gespräch mit dem zuständigen Senator suchen. Bereits heute will Getzmann an Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow schreiben, um von ihm zu erfahren, wo sein Mandant denn seinen Bauwagen unbehelligt aufstellen dürfe.

Ein Termin für die Räumung steht noch nicht fest. Sollte Müller aber nicht freiwillig weichen, darf er, so das OVG, zum Beispiel durch Androhung von Zwangsgeldern „gezwungen“ werden. Das Bezirksamt Mitte wollte sich gestern über sein weiteres Vorgehen noch nicht äußern. Der Beschluß des OVG liege noch nicht im Wortlaut vor, erklärte Rechtsdezernent Georg Kramer: „Wir werden ihn erstmal in Ruhe durchlesen und dann entscheiden, was wir tun werden“.

Auch wenn der Bezirk hart bleiben sollte: Müller, so das Gericht, müsse nicht fürchten, den Winter unter einer Brücke zu verbringen. Denn das Bezirksamt habe ihn ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er sich „zur Abwendung drohender Obdachlosigkeit an das Sozialamt“ wenden dürfe. Wie tröstlich.

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