■ Nach dem mißlungenen Antimafia-Gipfel von Neapel:
: Tut nun Bremsen not?

Nun müssen wir doch mal die Notbremse ziehen. Den allseitigen Enthusiasmus über die in Neapel bei der UNO-Konferenz zum „Kampf gegen das Transnationale Verbrechen“ verabschiedeten Resolutionen zumindest als „Schritt in die richtige Richtung“ kann wohl nur teilen, wer von der Sache keinerlei Ahnung hat.

Daß eine wirkungsvolle Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinweg im Kampf gegen international operierende Gruppen not tut – für diese Binsenweisheit wäre keine UNO-Konferenz nötig gewesen. Und doch war dies so ziemlich die einzige konkrete Aussage der Supertagung von Neapel.

Natürlich ist es nützlich, daß endlich einmal eine Art Mindestkonsens versucht wurde in Sachen Definition – die Bundesrepublik hat zum Beispiel bis heute noch kein Gesetz, in dem festgelegt wird, welche Delikte eigentlich Organisierte Kriminalität konstituieren. Und nützlich wäre es auch, wenn, wie im Abschlußdokument gefordert, konkrete Schritte schnell und unbürokratisch eingeleitet würden. Ganz besonders nützlich aber wäre es, Gesetze zumindest auf einem Mindestniveau zu harmonisieren, damit sich Strafverfolger nicht erst monatelang in die Gesetzeskultur anderer Länder einarbeiten müssen, um Autoschieber oder Drogendealer dingfest zu machen.

Doch all diese Aspekte wurden im selben Dokument dadurch entwertet, daß den einzelnen Ländern dann wieder absolut freie Hand gelassen wird, auf ihrem Territorium festzulegen, was denn nun alles unter „OK“ fallen soll. So verfolgen Italiens Behörden mittlerweile mafiose Banden, wenn diese Sprengstoffattentate begehen, auch als terroristische Vereinigung – kommen sie jedoch mit dieser Begründung zwecks Auslieferung in die Schweiz, geht nichts, weil es dort kein analoges Gesetz gibt. Ebenso verschieden ist auch das Grundverständnis hinsichtlich kapitalienschützender Rechtsnormen wie etwa dem Bankgeheimnis – da klaffen Welten etwa zwischen Deutschland und Nachbar Österreich, das sich seit einiger Zeit als Nachfolger der Schweiz in Sachen Geldverstecken anbietet.

Doch die Sache hat noch eine weitere, gefährlichere Seite. Überläßt man es jedem Land, den Umfang der Definition „OK“ unabhängig und nach Bedarf festzulegen, landet man am Ende dort, wo sich Diktaturen ihre Gegner zu „Mitgliedern Organisierter Kriminalität“ zurechtdefinieren und wo sich auch in demokratischen Ländern die Lobby der Weißkragenkriminellen über ihre Beziehungen zum Gesetzgebungsapparat Verschonung erkaufen kann.

Daß die UNO-Konferenz, statt Fakten abzuklären und Konsequenzen zu diskutieren, sich auf einen sehr gefährlichen Pfad begeben hat, zeigt die geradezu allumfassende Dämonisierung. „Das Reich des Bösen“ sei nunmehr die Mafia, urteilten amerikanische Delegationsmitglieder, der „Kampf sei zur Existenzfrage der zivilisierten Menschheit“ geworden, tönte Italiens Silvio Berlusconi, auch nicht eben ein formidabler Kämpfer gegen Dunkelmännerei. Selbst die unter Leutheusser-Schnarrenbergers Regie eher weichgetrimmten Sitzungsteilnehmer aus der Bundesrepublik sehen der „weltweiten Entwicklung mit größter Besorgnis entgegen“.

Derlei Katastrophenrufe hätten Substanz, basierten sie auf einer klaren Bestandsaufnahme nicht nur der aktuellen Lage, sondern auch der Vorgänge, die zu ihr geführt haben. Tatsächlich jedoch blieb es bei rein affirmativer Schwarzmalerei – und die läßt sich bequem für alle und alles nutzen. Heiße Fragen blieben außen vor. Inwieweit wenden beispielsweise die großen internationalen Multis heute selbst mafiose Methoden an? Daß der vordem von der Camorra beherrschte Zigarettenschmuggel in Italien weitgehend durch den Philip-Morris- Konzern übernommen wurde, was vor drei Jahren zum zeitweiligen Verbot des Verkaufs der Trust- Produkte geführt hat – hätte das nicht ein schönes Lehrstück abgegeben?

Doch auch die Daten und Zahlen, mit denen die UNO operiert hat, basierten auf weithin unglaubwürdigen, oftmals manipulierten Angaben. Da waren Regierungen, die die Gefahr weggeschönt haben, wie etwa die Vertreter der GUS, da waren andere, die ihren Kartellen oder bei ihnen anderweitig operierenden Gruppen zunehmende Gefährlichkeit weit über die Realität hinaus attestierten.

Die Moskauer Delegierten zum Beispiel hatten sichtbar Angst, man werde von ihnen nicht nur verlangen, energischer gegen die den neuen Staat durchsetzenden Banden vorzugehen, sondern auch noch Gelder für den Kampf gegen die im Ausland operierenden Gruppen aus der GUS einfordern. Sie erklärten die Sache kurzerhand zur internen Angelegenheit. Südamerikanische Kokainanbaustaaten erklärten „ihr Problem“ umgekehrt zu einer Angelegenheit aller anderen, nur nicht von sich selber – schließlich seien es „die superreichen Länder mit ihrem nihilistischen Werteverfall, die die Drogenkultur züchten“, so Kolumbiens Chefdelegierter.

Die Reichen hofften in Neapel, die Armen zu ebenjenen Schritten zwingen zu können, die sie selbst nicht die Absicht haben zu tun. Die Armen hingegen hofften, die Konferenz werde als eine Art Akquisitionswiese für Entwicklungshilfegelder fungieren. Wer will, daß in der armen Welt gegen kriminelle Gruppen durchgegriffen wird, soll zahlen. Ein Paradigmenwechsel: Drohte man einst bei mangelnder Sensibilität der vorgesehenen Geldgeber, man werde den Block wechseln – vom Westen zum Osten oder umgekehrt –, so kündigt man nun an, man werde im Weigerungsfall das neue „Reich des Bösen“ gewähren lassen.

Die ganze Absurdität der Ergebnisse kam dann in jenem Vorschlag Italiens zum Ausdruck, eine UNO-Hochschule zum Kampf gegen das organisierte Verbrechen zu gründen – und diese auch noch in Palermo anzusiedeln. Wenn es noch eines Aspektes bedurft hatte, selbst die bescheidenen Ergebnisse der ganzen Veranstaltung zur Makulatur zu machem, dann war es die Annahme dieses Vorschlags.

Denn da hat sich just das Gastgeberland behende auf die Idee der verdeckten Geldzapferei geschwungen und hofft nun auf stattliche Mittel aus New York – und die Mafia wird wie eh und je die Aufträge für Bauten und Ausstattung – geschätzte Summe bereits für die ersten beiden Jahre 250 Millionen DM – an Land ziehen.

Man sage nicht, da seien just die Antimafiakämpfer vor, die an dieser Stätte arbeiten sollen. Als es um die Fußballweltmeisterschaft ging, hat Italien die seinerzeit geäußerten Bedenken über mafiose Interventionen bei den allfälligen Stadionbauten damit beiseite geräumt, man werde die besten Spürnasen der Polizei und Staatsanwaltschaften einsetzen, um mafiosen und camorristischen Schnäppchen vorzubeugen.

Heute sitzen mehrere Minister wegen der Stadionbauten unter der Anklage mafioser Bandenbildung im Gefängnis oder im Hausarrest – just jene, die die Sache beaufsichtigen sollten. Werner Raith