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Süß, sauer, bitter, salzig etc.Mr. Bush mag keinen Broccoli

■ Ein kleiner Rückblick auf den Bonner Kongreß „Geschmacksache“

Über Geschmack läßt sich nicht streiten – dafür müßte man ja wissen, was das ist. Und obwohl am vergangenen Wochenende auf dem vierten internationalen Kongreß zum Thema „Die Zukunft der Sinne“ in Bonn WissenschaftlerInnen aller Disziplinen versuchten, Schmecken und Geschmack interdisziplinär zu umzingeln, blieb es bei einer definitorischen und inhaltlichen Sternfahrt. Zu einer Diskussion über den (einzigen) offensichtlichen Konsens eines allgemeinen Geschmacksverlusts wollte und wollte es nicht kommen.

Womöglich liegt das wirklich an dem von Hans Jürgen Teuteberg, Historiker an der Universität Münster und Leiter eines interdisziplinären Forums zur Erforschung der Ernährungskultur, konstatierten Graben zwischen Natur- und Kulturwissenschaften. Dabei wäre es durchaus sinnvoll, die Ausführungen über physiologische Voraussetzungen und Funktionsweisen unseres Geschmackssinns mit der von Teuteberg projektierten Auswertung alter Kochbücher als Archive unserer Kultur zu verknüpfen.

Statt dessen verbündete sich der naturwissenschaftliche Pragmatismus mit dem der ebenfalls referierenden Köche, Winzer und Lebensmitteldienstleister gegen die Transformationen des körperlichen Sinns in ästhetische und kulturelle Bedeutungssysteme. Die Journalistin Cristina Morozzi und die Architekturprofessorin Patrizia Ranzo beispielsweise versuchten äußerst eigenwillig und mit wirklich beneidenswerter Selbstbegeisterung das mediterrane Geschmacks- und Lebensgefühl anhand von Kaffee mit Zitrone und duftenden Kräuterschwaden aus der Maggia zu erklären. Der Münchner Germanist Gerhard Neumann erläuterte – ausgehend von Leonardo da Vincis berühmtem Bild – die Inszenierungsform des christlichen Abendmahls als eine notwendige Symbolisierung, weil der Geschmack selbst nicht direkt erfahrbar und schon gar nicht kommunizierbar ist. Wie sich jedoch die Zitate Leonardos in einer Otto-Kern-Jeans-Reklame und auf einem Plakat mit Marilyn Monroe als Christus in den Geschmackskontext einreihen lassen, blieb rätselhaft.

Im Grunde spannend war das Thema des Lüneburger Kulturwissenschaftlers Thomas Kleinspehn, der anhand von Zeitschriftenfotos festlich arrangierter Tische und Tellergerichte eine „ent-mündigende“ Sinnes- Verlagerung weg vom Schmecken hin zu dessen reiner Visualisierung zu belegen versuchte. Der Repräsentationszwang dieses „normativen Lifestyles“ bewahre die eigentliche „Gier“ nach Essen vor ihrer Enttäuschung. Diese Sublimationsfigur begründete er allerdings in Tafel-Bildern des Mittelalters, deren Darstellungen „ganzer Tiere“ als Garanten einer noch unverstellten Begierde herhalten mußten. Ab sofort wieder ganze Keulen also?

Mit den auflockerndern Weindegustationen und selbstgemachten Schokoladentrüffeln von Meisterkoch Johann Lafer aber trotzdem keine langweilige Veranstaltung. Erstaunlich war der Beitrag von Jean Puisais, Direktor des französichen Institut du goût: dort hat man ein Geschmackstraining für Schulen (!) entwickelt, mit dem Ziel, ein „Vokabular des Geschmacks“ jenseits von „geil“ und „doof“ zu erlernen. Ein derartiges, vom Erziehungsministerium gefördertes Projekt, wäre in Deutschland sicher undenkbar. Sehr französisch, aber durchaus nicht uneigennützig: denn ist die Geschmackskompetenz erst einmal verloren, ist irgendwann auch die berühmte „Küche“ weg. Gerburg Treusch-Dieters Beitrag zum Genfood anmimierte zur ersten lebhaften Diskussion (vgl. taz vom 25.11.), maliziöse Angst-Vorwürfe wies sie mit Hannah Arendts Diktum einer angstgeleiteten Erkenntnis fröhlich zurück.

Luzide und in typisch amerikanischer Gelassenheit wies schließlich Mark I. Friedman vom Monell Chemical Senses Center in Philadelphia nach, daß Geschmack und Geschmacksurteile auch Produkte individueller Ausstattung sind. Er ließ das Auditorium mit zugehaltener Nase Geleebonbons zerkauen, deren Geschmack erst nach deren Öffnung irgendwo hinten im Rachen explodierte und outete auch hier das Viertel jener Menschen, das einen bestimmten Bitterstoff nicht schmecken kann. Und er verwies das beharrliche Gejammere über Hamburger und Mac-Donalds auf rein ökonomische Konzerninteressen zurück. Schließlich hätte auch niemanden Präsident Bushs öffentliches Geständnis interessiert, keinen Broccoli zu mögen. Außer die Broccolihändler, natürlich. Barbara Häusler

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