piwik no script img

Am Krieg vorbei parabelt

Filmemachen im Zeitalter der Neuen Slowenischen Kunst / Bericht vom Video- und Filmfestival in Ljubljana / Der Bürgerkrieg ist bislang nur auf Umwegen Thema der Arbeiten  ■ Von Anke Leweke

Trotzig verströmt das Gemäuer im Hotelklotz „Lev“ (Löwe) den Geruch des Sozialismus; das mit vier Müslisorten auftrumpfende Büfett wird von superfetten Krakauer Würstchen unterwandert. Die Dissonanz von Knackern und Körnern paßt seltsam zu den Collagen, auf denen die slowenische Malergruppe „Irwin“ religiöse, folkloristische und kommunistische Symbole aufeinanderschichtet. Anfang der Achtziger hatte die Bewegung Neue Slowenische Kunst (NSK) die Überlagerung der Ikonographien zum Programm erklärt. Das Selbstverständnis der offiziellen slowenischen Kultur sollte als „Kultur der Assimilation“ enttarnt werden. Bereits mit ihrem Namen weist die NSK auf das ambivalente Verhältnis der Slowenen zur deutschen Kultur hin. Mit Vorliebe werden Stereotypen des sozialistischen Realismus als Teil der slowenischen Tradition herausgestellt: Lenin zwischen Heiligenbildchen als Ikone der Revolution, röhrende Hirsche, die gemeinsam mit Arbeiterköpfen in die Zukunft blicken. Bald wurden die Thesen der NSK auch von Videokünstlern übernommen. Im Museum für Moderne Kunst von Ljubljana bekommt man auf Anfrage eine Auswahl jüngerer Arbeiten gezeigt.

Stacheldraht, Christuskreuze, Brotlaibe tanzen in Mirko Simičs „Long Moment“ (1991) ein ausgelassenes Ringelreihen zu atonaler Musik. Mit einem herben Schnitt landet die Assemblage in der Klospülung. Das Tape „Birth of a Nation“ (1992) zeigt zu Beginn die feierlichen Gesichter während der Unabhängigkeitsfeiern, im Schnelldurchlauf wird die Geschichte Jugoslawiens zurückgespult. Sarkastischerweise stoppt der Rückblick just 1918, als Slowenien Teil des „Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen“ wurde. Auf die von Bürgerkrieg und nationalistischen Exzessen geprägte Gegenwart reagierte die NSK 1991 mit der Gründung des „NSK-Staates“, eines grenzenlosen, nur in der Zeit existierenden abstrakten Organismus, der sich immer wieder neu aus der Summe der künstlerischen, politischen und sozialen Aktionen seiner Mitglieder konstituiert.

Die Konflikte zwischen den Nationalitäten prägen auch die slowenische Filmkunst. Nicht ohne landeskundliche Hilfestellung ist Maya Weiss' Studentenkurzfilm „Balkanski Revolveraši“ zu verstehen. In der zynischen Western- Hommage treffen ein Serbe, ein albanischer Jugoslawe und ein Slowene in cowboyartigem Outfit zum Duell aufeinander, an Symbolen und Musikeinsätzen wird die jeweilige Zugehörigkeit erkennbar. So trägt der Slowene einen Hut mit aufgestickten Edelweißchen, sein Auftritt wird mit zünftigem Trachtengedudel unterlegt. Lacher im Publikum, wenn ein Hörncheneis durch die Lüfte fliegt. Man erklärt uns, daß die Albaner das Eismonopol im ehemaligen Jugoslawien besaßen. Der brachiale Schluß: In einem einkopierten Kurzauftritt schießt Clint Eastwood die drei kommentarlos über den Haufen.

Währenddessen setzt der Regisseur Karpo Godina die Spannungen zwischen den Volksgruppen in Spiel- und Kurzfilmen um. In einer seiner hintergründigsten Arbeiten ruht der Blick der Kamera fast ethnographisch auf bäuerlichen Gesichtern und Menschen in Trachten. Fetzige Hippie-Musik verkündet eine frohe Botschaft, deren Subtext sich ins glatte Gegenteil verkehrt: „We love the Russians. We love the Serbs. We love the Sintis and Romas ...“

Seit der Unabhängigkeit Sloweniens ist der Gedanke an eine künstlerische Revolution in Sachen Film in weite Ferne gerückt. „Die besten Schauspieler und Kameramänner sitzen entweder in Serbien oder Bosnien-Herzegowina“, meint Filmstudent Igor Stark über die desolaten Produktionsbedingungen. „Nur noch mit Hilfe des Fernsehens können wir unsere Filme machen. Aber die haben nur Geld für einen Spielfilm pro Jahr.“

„Ich weiß gar nicht, wie ich meine Studenten in Filmgeschichte unterrichten soll“, klagt Igor Bitenc, Professor für Kinotheorie an der staatlichen Filmhochschule. „Unser umfangreiches Archiv sitzt in Belgrad. Und wie Sie sich denken können, haben wir nicht gerade die besten Verbindungen.“ In den Filmen seiner Studenten kommt der Bürgerkrieg so gut wie nicht vor: „Da fehlt die Distanz,“ meint Bitenc.

Als prophetische Parabel über das Gemetzel am Balkan erweist sich im nachhinein Podgoršeks Kurzfilm „Nur die Ziege überlebt“ (1991). Ohne ersichtlichen Grund kommt es vor einer geschlossenen Bahnschranke zu einer mörderischen Keilerei zwischen einem Hochzeitspaar und weiteren Wartenden. Bevor er sich ins Gefecht wirft, bindet ein Bauer seine Ziege am Fallbaum fest. Nachdem sich alle Kontrahenten gegenseitig umgebracht haben, geht die Schranke mitsamt dem Zicklein hoch, sein durchdringendes Meckern beschließt das Werk. Die im Rahmen des fünften Ljubljana FilmArtfests vorgestellten Studentenfilme werden im Vorführraum der Filmhochschule gezeigt, einem ehemaligen Kloster in der Altstadt. In den schmalen Zellen haben sich die Lehrer einquartiert. Mittlerweile teilt man sich die endlosen Zimmerreihen bereits mit Flüchtlingen und Obdachlosen. Auf dem Weg zur Toilette verirre ich mich in den labyrinthischen Gängen. Eine alte Frau, in deren winzigen Zimmerchen drei Kleiderschränke Platz finden, bringt mich zum Ausgang.

Auch im sozialistischen Kultur- und Kongreßzentrum „Cankarjev Dom“ droht man ständig verlorenzugehen. Zwischen futuristischen Kronleuchtern und Ausstellungsbuden mit eindrucksvollen Exponaten (aufblasbare Matratzen gegen Rückenschmerzen, Beinprothesen) findet das Hauptprogramm des Filmfests statt.

Miesepetrige Mitmenschen würden behaupten, ein Großteil der Filme kenne man bereits von anderen Festivals. Ausführliche Retrospektiven widmen sich unbekannteren Filmländern (1993 China und Taiwan; Australien und Neuseeland in diesem Jahr). Der Vorschlag, eine Reihe mit amerikanischen Independents zu zeigen, wird mit nahezu synchronem Kopfschütteln beantwortet: „Aus Amerika schwappt hier in nächster Zeit sowieso noch genug rüber.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen