: Gothic Horror Picture Show
■ "Interview with the Vampire" - Neil Jordan hat das Kultbuch von Anne Rice, Drag-Heroine der 70er, verfilmt / Erste Nachahmungen sind im Gange
Das Regelwerk des Vampirfilms ist begrenzt: Sex, Gewalt und Tod. Frauen liegen im Bett und werden gebissen. Manchmal beißen sie auch zurück, dann wird es kompliziert, lesbisch oder gerne auch psychologischer Trash. Nun ist der Produzent von „Interview with the Vamire“, David Geffen, schwul; Anne Rice, die Autorin der Buchvorlage, ein zickiges Biest mit großer Fangemeinde, und Tom Cruise, derzeit Top Gun unter den Scientologen, konnte sich in seiner Rolle als Mutters Traum vom jungen Mann wahrscheinlich selbst nicht mehr ertragen. Deshalb geraten hier viele Wünsche durcheinander: „Interview with a Vampire“ ist eine Art MTV-gefärbte Gothic Horror Picture Show – ein Käfig voller Vampire.
Zunächst sind es nur die Hochhaustürme von San Francisco bei Nacht, die in der Manier eines romantisch applizierten Blade-Runner-Futurismus mit wallendem Chorgesang angeflogen werden. Die Moderne glitzert zwar alterslos in Pfützen und Bumslokalen, doch ihre Bewohner sehen sehr müde aus. Wenn Louis am Fenster steht und melancholisch dem Leben auf der Straße zuschaut, sind seine stechenden Augen rotumrandet. Dann erzählt Brad Pitt, sonst eher für Drogenwracks und Psychopathen zuständig, die Geschichte einer langen Reise entlang der Finsternis. Selbst die Vampire haben sich mit der Zeit verändert, müssen weder Knoblauch noch Kruzifixe fürchten und sterben auch nicht mehr an einem Pflock im kalten Herzen. Selbst ein bißchen Soul ist in ihre Körper zurückgelangt, wenn Cruise als untoter Lestat lachend mit einem roten Chevy in den Abspann rast und aus dem Radio das „Sympathy for the Devil“ der Rolling Stones rasselt.
Wie bei MTV liegen auch die Vorlieben von Regisseur Neil Jordan in Popkultur und Geschlechterfragen. Aktionsreich läßt er einem hysterisch kichernden Opfer im Pompadour-Hängerchen die Kamera am blutverschmierten Leib langfahren, spielt mit Särgen Slapstick oder schneidet Küsse und Bisse so gegeneinander, daß sich die Dracula-Mythologie oft im eleganten Ballett einer Parfüm- werbung auflöst. Vor allem aber legt Jordan Wert auf die Unverbrüchlichkeit von starr kodifizierten Images. Cruise, Pitt oder Christian Slater spielen eine zum Mainstream gewordene, todestriebige Jugendkultur nach, die sich auch in historischer Kulisse bloß auf sich selbst abbilden kann. Antonio Banderas mimt einen schmollend rotlippigen Groß-Vampir nicht anders als irgendwelche Typen in Almadovars Latexkomödien. Daß zunächst John Travolta auf der Besetzungsliste stand, Johnny Depp ebenfalls für die Rolle des Louis im Gespräch war und Slater nur als Ersatz für den vor Drehbeginn verstorbenen River Phoenix eingesprungen ist, stimmt doch ein wenig traurig: Im Grunde passen all die Slacker, Natural Born Killers und sonstigen California Dream Men in ein ziemlich enges Kostüm von Popdesign. Diese unendliche Verdoppelung von Jugend als Zeichen wiederum hat Folgen für die Wirklichkeit: In eben jenem San Francisco der Nachwuchs-Deadheads und -Dropouts hat ein Mann namens Daniel Sterling versucht, seine Freundin mit dem Messer zusammenzustechen, um dann ihre Wunden auszusaugen. Angeblich hatte er nur den Film nachspielen wollen, wie er in einem Interview erklärte. Desweiteren können sich Gore-Fans über einige explizite Szenen freuen: Zum Finale läßt Pitt die Sense kreisen.
Doch zunächst erscheinen die beiden Hauptsauger bei Jordan mit ihren pluderigen Beinkleidern und Rüschenhemden auf blauäderig schimmernder Povera-Haut als äußerst variabel im sexuellen Spiel konstruiert, und wenn Tom Cruise in Brad Pitt zum ersten Mal genußvoll hineinbeißt, weiten sich ihre Pupillen, und das Pärchen steigt in der Umklammerung wie eine Rakete in die Höhe. Das ganze erinnert in seiner weichgezeichneten Langhaarigkeit an das Mädchenpensionatsgeschmuse aus „Bilitis“. Junge Männer gehen zwischen Pappeln spazieren, reden allerlei verliebten Unsinn, und Wölfe heulen in der Nacht. Der Weltschmerz, sonst Wesenszug der fremden Kreatur unter der menschlichen Hülle, schlägt in juvenile Schwatzkultur um. Tote reden vom Existentialismus: Forever grunge. Die Initiation jedenfalls bringt dem eher nekromantischen Louis die Unsterblichkeit und Lestat, dem Lebemann mit Manieren – galant beißt Cruise den adligen Landfräuleins in die Hand, bevor er ihnen den Nacken freilegt – einen Freund, Schüler und Gefährten. Er selbst war vor langer Zeit in Europa von einem verschlagenen Franzosen in die dark side of life eingeführt worden. Er muß mit den Quäkern nach Amerika gekommen sein. Libertär, antichristlich, europäisch: Da schwappt einiges Verdrängte in die Gründereuphorie von 1791 hinein.
Danach herrscht allerdings ein halbes Jahrhundert Trübsal. Denn Louis hat sich nicht mitverwandelt. Statt Menschen leerzusaugen, daß es heftig im Genick knackt, grübelt er über die Natur der Dinge und bleibt aus moralischen Bedenken allein Nagetieren als Beute verbunden. Ratten pflastern fortan seinen Weg. Lestat langweilt sich bald mit seiner Eroberung, fühlt sich ihm nur mehr väterlich verbunden, und ein Waisenkind, das er zur Vervollständigung der Kleinfamilie angebissen hat, entpuppt sich als undankbarer Lockenkopf.
Die Zeiten ändern sich, noch mehr Kulissen, Kleidermoden und Tischmanieren ziehen an den drei dahinlebenden Geistern vorbei, bald haben sie Bürgerkrieg und Eisenbahn hinter sich gelassen, aber altern können die Toten nicht. Ihre Welt steht still: Claudia wäre am liebsten ein vollbusiges Weib, Pitt gerne richtig tot und Cruise wieder allein. Was folgt, sind ein paar klaffende Wunden, Beziehungssplatter auf dem Brokatteppich und die Erkenntnis, daß eine falsche Ewigkeit die Hölle sein kann. Sartre für Vampire.
Auch nachdem Louis gemeinsam mit der Kleinen handwerklich sauber den ungeliebten Freund- Bruder-Vater niedergepflockt hat und nach Paris geflohen ist, bleibt das Leben ein wiederkehrender Fluß aus Schwermut und Ennui. Zwar hampeln ihre europäischen Vampirkollegen symbolistisch in einem eigenen Theaterhaus, doch außer goldenen Gruften in größerem Jugendstil findet sich in der Alten Welt die gleiche Leere wie zu Hause. Woher komme ich? Wohin soll ich gehen? Wieso bin ich, wo doch vielmehr nichts ist? Fragen, die Louis 100 Jahre später am Ende des Films noch im Kopf herumspuken.
Im Kino läuft währenddessen Tequila Sunrise, und Nirvana sind in die Charts eingestiegen. Dann ist das Tape zu Ende, und der wilde Edle schön unglücklich wie zuvor. Wie immer. Wie MTV. Harald Fricke
Interview with a Vampire, Regie: Neil Jordan. Mit Brad Pitt, Tom Cruise, Christian Slater, Kerstin Dunst. USA 1994, 126 min.
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