: Sturm auf Seehofer
■ Rüdiger Anhalt von Act Up Frankfurt über Aids-Aktivisten in Deutschland
taz: Die Bereitschaft, sich politisch für Aids zu engagieren, ist zurückgegangen, seit über die Krankheit umfangreicher informiert wird. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
Rüdiger Anhalt: Da hat sich gar nicht viel verändert. Wir bekommen immer noch die Diskriminierung zu spüren. Das tritt in den Großstädten nicht mehr so stark hervor, hier in Frankfurt beispielsweise hat man sich organisiert und als Betroffener und Schwuler auch arrangiert. Dadurch schafft man sich Möglichkeiten, sozial oder medizinisch aufgefangen zu werden. Aber außerhalb sieht es nicht gut aus. Wenn man bedenkt, was für eine Aufregung die Potsdamer Obeliskverhüllung in Brandenburgs Kirche ausgelöst hat, dann zeigt es die weiterhin bestehende Haltung gegenüber Aids.
Wie ist Act Up Frankfurt entstanden?
Durch die Auseinandersetzung mit der Kirche. Unser Einstieg war eine Aktion zur Bischofskonferenz im Fuldaer Dom. Im Moment hat allerdings die Bundespolitik Vorrang. Jahr für Jahr werden von Seehofer die Gelder für Aids-Hilfen weiter gekürzt. Der Etat hat sich seit 1990 enorm verringert, in der mittelfristigen Finanzplanung sind 1998 nur noch 8 Millionen Mark für Präventionen vorgesehen. Das sind 10 Pfennig pro Bundesbürger. Und das muß Seehofer vor dem Hintergrund steigender Neuinfektionszahlen erklären. Die Zahlen, die das Robert-Koch-Institut herausgibt, belegen einen kontinuierlichen Anstieg von 6.000 Neuinfizierten pro Jahr. Wir sind jetzt bei fast 66.000 Aids-Fällen. Aber die Mittel werden gekürzt. Also haben wir in Wiesbaden eine Podiumsdiskussion mit Seehofer gestürmt, worauf er sich spontan bereit erklärte, die Gelder für die Aids-Hilfen „angemessener“ anzuheben. Angemessener heißt für mich mehr. Aber 1995 sollen die bundesweiten Mittel wieder um zehn Prozent gekürzt werden. Wir haben uns deshalb im Moment Seehofer als den wichtigsten Kontrahenten ausgesucht und andere Schauplätze zurückgestellt.
Wer ist wir?
Act Up ist bundesweit vernetzt, und trotzdem versteht sich jede Gruppe als autonom. Beim Aids- Kongreß letztes Wochenende in Hannover haben wir uns für Aktionen mit der Münchener Gruppe zusammengetan, und sonst gibt es noch eine in Hamburg, also gar nicht so viele. Die Frankfurter Initiative ist sicher die stärkste, was die Außendarstellung betrifft. Wir fahren am häufigsten nach Bonn, wir haben am 10. Juli das Bundesministerium wenigstens symbolisch besetzt. Zudem treten wir am aggressivsten auf, wobei dieser Begriff auch eine Definitionsfrage ist. Für manche gilt schon eine Trillerpfeife als aggressiv. Wir bewegen uns sicherlich immer am Rande von Gesetzesüberschreitungen, aber nicht mit 200 bis 300 Leuten, sondern nur mit zwei oder drei Handvoll. Da muß man mit einer gewissen Pfiffigkeit agieren, um die Medien zu erreichen. Wir haben Seehofer in Wiesbaden mit einem riesigen Konterfei von ihm im DIN-A1-Format empfangen, darauf stand der Stempel „schuldig“.
Und wie geht es weiter?
Schwerpunkt ist eindeutig Seehofer, weil er für so vieles zuständig ist. Es geht nicht nur um Mittel, sondern auch um Programme, die damit gesteuert werden. Bezeichnenderweise gibt es dann noch den Punkt, daß Frauen total herausgehalten werden. Das ist für uns unverständlich. Ich empfinde es als skandalös, daß sich die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZGA) diesem Thema so schwerfällig öffnet. Sie erkennen das Thema „Aids und Frauen“ nicht. Dabei sind 20 Prozent der Neuinfizierten Frauen und weiß Gott nicht nur Drogenfrauen, und wenn es so wäre, wäre es genauso schlimm. Die Krankheit geht inzwischen in völlig andere Bevölkerungskreise hinein. Aber ein Massenpräventionsmittel für Frauen gibt es nicht, und das fordern wir ganz energisch. Frauen, die zu uns kommen, können wir nur Präventionsmittel für Prostituierte anbieten, und da fühlt sich nicht jede Frau angesprochen. Jetzt gibt es eine aufwendig gemachte Broschüre von der BZGA, die heißt „Starke Mädchen“, nur das ist dann auch nichts mehr für Frauen, denn mit Mädchen will ja nicht jede Frau verniedlicht werden. Und da ist Aids nur ein Thema zwischen Verhütung und Schwangerschaft.
Die Forderungen der Bewegung haben zu mehr karitativer Pflegearbeit geführt, aber mit einem Anspruch auf gesellschaftliche Positionen hat das nichts zu tun. Ärgert Sie dieser Rückfall ins Christlich- Soziale?
Es ist schwierig, Politik zu machen. Im Fall des Bluterskandals war es ganz schnell möglich, einen Fonds zu gründen und 20, 25, 29 Millionen zusammenzukriegen. Da sei auch ruhig jede Million gegönnt, und es könnten noch viel mehr sein. Aber es waren Gelder, die bereitgestellt wurden, weil es sich um „unschuldige“ Opfer handelte. Und das ist das Thema. Acht Millionen für Prävention sind eine Verniedlichung der Probleme. Erschwerend kommt hinzu, daß die Bundespolitik vor allem auf dem Gesundheitssektor von der CSU dominiert wird. Am Ende dieser Entwicklung steht dann Seehofer mit seinen Kürzungen; der Finanzminister stellt weniger Gelder bereit, und auch Lindner, der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, der sich vehement weigert, Methadon- oder Spritzenaustauschprogramme zu fördern, ist CSU-Mann.
Sicher geht es immer mehr um praktische Hilfe, in Hamburg oder Frankfurt werden Aids-Hospize aufgebaut. Hier ist die Caritas der Träger, auch wenn die Stadt das Haus finanziert. Aber Caritas pflegt, wodurch die Hilfe konfessionell geprägt wird. Ich als schwuler Mann möchte mich nicht von jemandem pflegen lassen, der mich in meinem Leben immer ausgegrenzt hat, wie die katholische Kirche. Da gibt es einen ganz harten Widerspruch, gegen den wir uns wenden.
Auf der anderen Seite hat sich der Mainstream des Themas Aids angenommen. Wie denken Sie über den Erfolg von „Philadelphia“?
Das kann gleichberechtigt nebeneinander laufen. Wenn mit einem Film wie „Philadelphia“ Aids kommerzialisiert wird, habe ich damit keine Probleme. Tom Hanks hat den Oscar bekommen, weil das Thema in Hollywood einfach dran war. Aber Act Up kann nicht fordern, Aids in die Öffentlichkeit zu holen, und sich dann gegen die Massenaufbereitung wehren. Auch am heutigen Welt-Aids- Tag werden wir das wieder in den Medien erleben. Ansonsten ist das Thema Aids passé, wenn wir nicht gerade Rock Hudson oder Freddy Mercury haben. Das Thema ist aus den Medien raus, wenn man nicht gerade Ärztezeitungen liest. Gleichzeitig ist die politische Arbeit mit Aids zu einem Verwaltungsakt geworden. Wir sind schon manchmal etwas zornig, daß von den Aids-Hilfen kaum mehr Aggressivität ausgeht. Aber wenn der Bedarf an Hilfe wächst, muß man sich um einen höheren Etat bemühen. Wie kann eine Gruppe gegen die Leute agieren, von der sie die Gelder bekommt? Ich kann dem Bundesgesundheitsministerium nicht heute die Scheiben einschlagen, wenn ich morgen mit denen am selben Tisch sitzen muß. Interview: Harald Fricke
Heute findet um 18 Uhr in der Frankfurter Paulskirche eine Trauerandacht statt. Anschließend wird auf dem Peterskirchhof ein Denkmal von Tom Fecht enthüllt.
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