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Höhnsche Bevölkerungspolitik

Bevölkerungswissenschaftlerin Charlotte Höhn verklagt die taz / Sie meint nicht, was sie gesagt hat, sagt sie / Noch keine Entscheidung im Bundesinnenministerium über ihre Wiedereinsetzung  ■ Von Bernd Pickert

Berlin (taz) – Für zwei Monate sollte die Bevölkerungswissenschaftlerin Charlotte Höhn von ihrem Amt als Direktorin des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) suspendiert werden. Das war Mitte September, die zwei Monate sind vorbei – geklärt ist nichts.

Höhn hatte in einem auf Tonband aufgezeichneten Interview mit der Historikerin Susanne Heim und der Filmemacherin Ulrike Schaz ihr Bedauern darüber geäußert, daß man heute nicht mehr sagen dürfe, „daß die durchschnittliche Intelligenz der Afrikaner niedriger ist als die anderer“. Das nämlich sei „leider statistisch nachweisbar“ – vielleicht gebe es da, bei den Afrikanern nämlich, „andere Begabungen“. Höhn war schon zur Weltbevölkerungskonferenz nach Kairo gereist, wo sie in leitender Funktion an der deutschen Delegation teilnahm, als die taz Teile des Interviews veröffentlichte. Ein Sturm der Entrüstung ging durch die Öffentlichkeit – wenige Tage später mußte Höhn nach Deutschland zurückreisen und dem Innenministerium gegenüber eine dienstliche Erklärung abgeben. Zur Klärung der Vorwürfe suspendierte das Innenministerium die Direktorin für 60 Tage vom Amt.

In ihrer Erklärung, die der taz vorliegt, versuchte sich Höhn damit zu rechtfertigen, sie sei „in eine Falle geraten“. Tatsächlich habe sie in der Passage über die Intelligenzunterschiede nicht ihre eigene Meinung geäußert, „sondern lediglich referiert“. Sie selbst aber wisse als Statistikerin, „daß ein Nachweis zu diesem Gegenstand wissenschaftlich aus methodischen Gründen fast unmöglich zu führen ist“.

Wie das zusammenpaßt mit ihrer Äußerung, es sei „leider statistisch nachweisbar“, konnte Höhn bis heute nicht erklären. Und daß sie selbst die Interviewpassagen in ihrer dienstlichen Erklärung noch einmal ausführlich zitierte und mit dem Nachsatz belegte, damit sei ja wohl eindeutig erkennbar, daß sie lediglich referiert habe, ist zwar ein taktisch geschickter Schritt der Bedrängten in die Offensive, macht sie jedoch nicht glaubwürdiger. Warum wohl hätte sie sich in einem Brief an Susanne Heim vom 8. Juli gegen die Veröffentlichung wenden sollen, wenn das Interview sie eindeutig entlasten würde?

Noch weniger überzeugend äußerte sich Höhn in ihrer Erklärung zu dem zweiten „brisanten“ Zitat: Angesprochen auf den von ihr hochverehrten Bevölkerungstheoretiker Gerhard Mackenroth, der zwar mit großen Teilen der NS- Rassenideologie gebrochen, gleichwohl aber in seinem Standardwerk „Bevölkerungslehre“ von 1953 das Nazi-Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses gutgeheißen hatte, fragte Höhn: „Aber nun mal im Ernst: Ist das erstrebenswert, daß sich Menschen, die krank sind, vermehren? Ist das vielleicht gut?“ In ihrer Erklärung verweist sie darauf, daß sie ja keinerlei Zwangsmaßnahmen gefordert habe und diese auch ablehne. Höhn hat recht: Sie hat das nicht gefordert. Daß in Deutschland jedoch auch das Nachdenken über die „Qualität“ der Bevölkerung eine schlimme Tradition hat, ist ihr offensichtlich bis heute nicht bewußt.

Auch an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, wo sich Höhn 1988 habilitierte, seit Jahren einen Lehrauftrag für Demographie-Seminare hatte und eigentlich mit dem Titel einer Honorarprofessorin gewürdigt werden sollte, geht der Streit weiter. Aufgeschreckt durch die taz-Berichterstattung hatte der Präsident der Gießener Universität im September den Lehrauftrag zurückgezogen, auch die Ernennung zur Honorarprofessorin wurde ausgesetzt. Der AStA forderte die StudentInnen auf, sich zu melden, falls in Lehrveranstaltungen Höhns ebenfalls „rassistische und eugenische“ Äußerungen gefallen seien.

Daß sich niemand meldete und daß auch in den Veröffentlichungen Charlotte Höhns „keinerlei Hinweise auf irgendeine Nähe zu eugenischen, rassistischen beziehungsweise nationalsozialistischen Ideologien gefunden“ werden konnten, nahmen jetzt fünf Professoren des Instituts für Wirtschaftslehre zum Anlaß, um ihrerseits in die Diskussion einzugreifen. „Die vielfach wiedergegebenen Passagen aus dem Interview mit Frau Prof. Dr. Höhn haben auch bei uns Unverständnis ausgelöst und waren Anlaß zur Auseinandersetzung mit ihr. Dennoch sind wir der Meinung, daß eine derart massive und pauschale Infragestellung ihrer Person und ihrer beruflichen und wissenschaftlichen Tätigkeit, wie sie in vielen Berichterstattungen stattgefunden hat, erst zu rechtfertigen gewesen wäre, wenn sich weitere entsprechende Befunde ergeben hätten.“ Allerdings sei Höhn in einem Gespräch gebeten worden, „ihre Position noch einmal in den Medien selber unmißverständlich deutlich zu machen, gerade auch, um auf die durch ihre Äußerungen ausgelöste und verständliche Betroffenheit einzugehen“. Dieser Bitte ist Höhn nach Auffassung der Professoren bis heute nicht nachgekommen.

Wie in anderen Organisationen, denen Höhn angehört, wird wohl auch an der Gießener Uni abgewartet, wie das Innenministerium im Fall Höhn entscheidet. Hans Fleisch von der „Deutschen Stiftung Weltbevölkerung“, der sich als einziger deutscher Delegationsteilnehmer schon in Kairo offen von Höhn distanziert hatte, befürchtet denn auch, daß über dem Warten auf den juristischen Ausgang der Affaire die politischen Implikationen vergessen werden. Ähnlich denkt auch Adalbert Evers, einer der Unterzeichner der Gießener Professoren-Erklärung: „Alle warten nur ab, ob nun ,schuldig' oder ,unschuldig' herauskommt. Eine Debatte findet nicht statt.“

Im Innenministerium waren mehrere Gutachten in Auftrag gegeben worden, auf deren Grundlage über die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens entschieden werden soll. Dabei sollte eine Arbeitsgruppe unter Ägide eines Doktor Liesner vom Bundesverwaltungsamt die näheren Umstände des Interviews klären, während der international anerkannte niederländische Professor Dirk van de Kaa, dort Leiter des staatlichen Bevölkerungswissenschaftlichen Instituts, die Veröffentlichungen Höhns auf Unbedenklichkeit prüfen sollte – ein Gefälligkeitsgutachten, wie BeobachterInnen vermuten, erfreuen sich doch beide Institute seit Jahren bester Zusammenarbeit.

Tatsächlich aber dürfte Höhn auch bei kritischer Betrachtung kaum nachgewiesen werden können, rassistische Thesen zu verbreiten – selbst wenn sie in deutlich rechter Umgebung publizierte, zeichnen sich ihre Texte in aller Regel durch für Laien dröge Sachlichkeit zu demographischen Fragestellungen aus.

Das Gutachten des niederländischen Professors liegt Innenminister Manfred Kanther inzwischen vor – entschieden ist noch nichts. Im Ministerium gibt man sich – wie bislang immer – verschlossen. Anfragen der SPD-Abgeordneten Edelgard Bulmahn blieben bislang genauso unbeantwortet wie die der Europa-Abgeordneten Hiltrud Breyer. Auf Anfragen der taz reagiert die Pressestelle überhaupt nicht, und dem nach Auskunft des Bundesverwaltungsamtes zuständigen Unterabteilungsleiter, einem Herrn Wurster, verschlug es schon die Sprache, daß ein taz-Redakteur ihn überhaupt direkt ans Telefon bekam – Rückverweis an die schweigende Pressestelle.

Bonner JournalistInnen mutmaßen bereits, auch das Innenministerium warte ab – den Ausgang des Verfahrens Höhn gegen taz. Inzwischen nämlich hat Charlotte Höhn die taz und die AutorInnen des ersten, am 3.September erschienenen Artikels verklagt. Wichtigster Punkt: Die taz soll nicht mehr behaupten dürfen, Höhn halte Afrikaner für weniger intelligent. Aus dem Interview ergebe sich zweifelsfrei, daß Höhn nicht ihre eigene Meinung, sondern die anderer referiert habe.

Das versteht nun niemand so richtig, auch dem Redakteur der Deutschen Presseagentur (dpa), der am vergangenen Freitag eine Meldung zu dem anstehenden Verfahren absetzte, wollte nicht in den Kopf, was sie zu klagen hätte, wenn die eindeutigen Äußerungen tatsächlich so gefallen waren: Prompt heißt es bei dpa, Höhn trage in ihrer Klageschrift vor, die ihr unterstellten Äußerungen nicht gemacht zu haben. Genau das trägt sie freilich nicht vor.

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