piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ Ein Zuckerstückchen von der Insel: Suede im Huxley's Jr.

Wie neulich schon im Fall von Massive Attack ausgeführt, auch Hypes dauern ihre Zeit. Manchmal füllen sie ihre leeren Hüllen dann noch mit ein paar Substanzpartikeln, so daß sich radikale Glaubensbekenntnisse zur (Nicht-)Existenz von Wundern erübrigen. Suede waren 1992 Britanniens Pop-Hype, sie erfüllten, besonders in einer Zeit unübersichtlicher Dance-, House-, Techno- und Junglesplitter, ein Versprechen auf die heißersehnte Rückkehr bandzentrierter Identifikation und befreiten die exzentrikergewohnte Nation vom irgendwie gesichtslosen amerikanischen Holzfällerrock. Das lag neben dem ordentlich glanzvollen (sonst aber gar nicht sooo innovativen) Gitarrenpop vor allem am forschen Rollenspiel ihres Sängers Brett Anderson: Der nutzte gekonnt die genetische Klaviatur des sexuell nicht festgelegten, des Androgynen, das den Insulanern seit Bowie und Bolan, seit Morrissey und Neil Tennant eh am liebsten ist, um sie auf ihrer Reise durch den Irrgarten der Pubertät sowie der nicht minder schwierigen Jahren danach zu begleiten.

Nun kokettiert der Mann selbstbewußter denn je mit Jugend und Schönheit, hat seine ersten Diadochenkämpfe ausgefochten, sich seines Bassisten entledigt und behauptet weiterhin: „I feel like a bisexual man, who's never had a homosexual relationship.“ Oder betont voller Inbrunst, der Lächerlichkeit so vieler kolportierter Äußerungen gewiß, daß Sex und Drogen für ihn ein ähnliches Hobby wie Briefmarkensammeln seien.

Ganz nebenher ist dabei auch ein neues Album entstanden, was einerseits, natürlich, auf der Insel groß abgefeiert wird, andererseits aber, insbesondere für gewiefte Kritikerohren jenseits des Kanals, die etwas schwitzige, maßlose Ausgeburt einer Band ist, der man es kaum zugetraut hätte, noch einmal zehn oder elf Songs zu verfassen. Da wird groß ausgefahren, werden breitwandig die Gitarren nebeneinandergestellt, werden Erinnerungen wach an die frühen Simple Minds, die nach ihrer märchenhaften, wunderversprechenden 84er-Platte nur noch fetten Brei um die Saitenspitzen schmieren konnten. Doch Suede sind auch dieses Jahr genau die für jeden gefühlsduseligen Menschen so nötige Band, deren dickes Pathos man sich gewissenlos einverleibt, da dieses sich seiner Falschheit immer bewußt ist: Keine Frustrationen, Kids, Fake und Zuckerstückchen befreien von allzu großem Seelenballast! Daß Suede heute abend ausgerechnet zusammen mit den Manic Street Preachers auftreten, den lächerlichsten Glampunkern von hier bis Wales, hat viel mit Ironie zu tun, doch nicht vergessen sollte man den ungleich gewichtigeren Grund, und der heißt: Labelpolitik. Gerrit Bartels

Suede/Manic Street Preachers, Huxleys Jr., 20 Uhr, Hasenheide 108-114, Neukölln.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen