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Durchstoßendes Blau

Dieter Heitkamp mit „Principle of Moment“ im Hebbel Theater  ■ Von Michaela Schlagenwerth

Den Traum vom Fliegen haben schon viele geträumt. Tänzer ganz besonders. Moderne Tänzer, die sich im Unterschied zu den Kollegen vom Ballett nicht in die Höhe schwingen, sondern sich in die Erdenschwere versinken lassen wollen, träumen den Traum auf eigene Weise. „Zerfall der Schwerkraft“ hieß das letzte Stück von Dieter Heitkamp, Gründungsmitglied und einer der künstlerischen Leiter der Tanzfabrik. Die Auseinandersetzung mit dem französischen Maler Yves Klein, der durch die immaterielle Kraft der Farbe auf die Überwindung der Schwerkraft zielte, ist da folgerichtig und doch bloßer Zufall. Eigentlich war Paris Ziel und Thema der neuesten Produktion „Principle of Moment“ – aber Paris war eben auch Yves Klein und irgendwann nur noch Yves Klein.

„Principle of Moment“ ist der Versuch, wichtige Stationen von Kleins Leben und zugleich zentrale Momente seines künstlerischen Schaffens in das Medium Tanz zu transportieren. Ein gewagtes Unterfangen, schließlich ist „Yves le monochrome“ nicht irgend jemand. Als er 1962 im Alter von 34 Jahren starb, galt er als Großmeister der Avantgarde. Seine patentierte Farbe „I.K.B.“ – „International Klein Blue“ – ist heute ebenso legendär wie sein „Weißer Raum“, in dem die Konturen verschwimmen und die Leere erlebbar werden soll. Seine monochromen Schwamm-Skulpturen und seine „Anthropometrien“ (Körperabdrücke) suchen die Selbstaufhebung alles Gegenständlichen – ein Verlassen der Zone der Schwerkraft. In Köln, Düsseldorf und Krefeld ist zur Zeit eine groß angelegte Retrospektive von Kleins Werk zu sehen, die Feuilletons sind voll davon und da mitten hinein fällt nun Dieter Heitkamps „Principle of Moment“ – für den Berliner Choreographen ist das Blättergeraschel sicher nicht die schlechteste Reklame, auch wenn sie nicht beabsichtigt war. Wer Klein zu sehr liebt, wird mit dieser Produktion wohl kaum einverstanden sein können, wer den Tanzabend für sich nimmt, kann den „Principle of Moment“ einiges abgewinnen.

Dieter Heitkamp läßt mehr als einmal die Schatten, per Lichtstrahl riesengroß an die Bühnenrückwand geworfen, wirklicher werden als die Körper der Tänzer selbst. Deren Bewegungen sind aufs äußerste zurückgenommen. Nicht um ein komplexes Tanzvokabular geht es hier, sondern um die Auflösung von Bewegung, die Selbstaufhebung. Acht TänzerInnen versuchen sich an Kleins Japan-Reisen, seinen Experimenten mit Blau und Blattgold, seiner Liebe zu Feuer und der Verehrung für die Heilige St. Rita. Dieter Heitkamp hat eine unwirkliche, traumhafte Szenerie entworfen. Tänze werden kurz synchron ausgeführt, um schon im nächsten Moment wieder zu zerfallen. Das „Principle of Moment“ ist eines der permanenten Verflüchtigung. Dies in die Bildlichkeit der Bühne zu übersetzen ist allerdings keine leichte Aufgabe und nur selten gelingt das mit solcher Klarheit wie in „Kata“. In einer Mischung aus Judo, Tai-Chi und rein tänzerischen Bewegungen findet man zu kurzen, strukturierten Momenten, die sich in Variationen verlieren, um schließlich in völligem Stillstand zu enden.

Die schönsten Momente des Abends gehören allerdings Yoshiko Waki: Die Arme ganz in Blau getaucht, spielt sie mit der Faszination und dem Entsetzen, das diese Farbe auf ihren Körper ausübt. Blau sei die Farbe der „Zusammenhangdurchstoßung“ hat Benn einmal gesagt und Yoshiko Waki zeigt, wie das Blau ihren Körper angreift und schließlich in rauschhafte Schwebezustände führt: Eine Metamorphose.

Der Choreograph Dieter Heitkamp hat sich schon immer eine Produktion mit den Möglichkeiten einer großen Bühne, wie sie das Hebbel Theater bietet, gewünscht. „Principle of Moment“ ist die Erfüllung eines Traums und (trotz mancher Längen und einer vielleicht so beabsichtigten, aber doch zu unausformulierten Bewegungssprache) ein überzeugendes Argument, den Künstlern der freien Szene öfter die Möglichkeit zu geben, in dieser Größenordnung arbeiten zu können.

„Principle of Moment“, 2. bis 4. 12. um 20 Uhr im Hebbel Theater, Stresemannstraße 29

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